Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
»Mit keiner guten Absicht.«
Seine Augen verengten sich. »Was, bitte, soll das heißen?«
»Das wissen Sie ganz genau.«
»Wenn Sie von meiner … Meinungsverschiedenheit mit meinem Vater sprechen – das geht Sie nichts an.«
»Das meine ich nicht, wie Sie ebenfalls ganz genau wissen. Und das, was ich meine, geht mich sehr wohl etwas an.«
Sie legte das Buch beiseite, nahm den Zinnsoldaten vom Tisch und streckte ihn ihm hin. »Das habe ich heute Morgen in meinem Zimmer gefunden. Haben Sie es verloren oder mit Absicht liegen gelassen, als Visitenkarte?«
Stirnrunzelnd sah er die Figur an, dann streckte er die Hand aus und nahm sie ihr ab – vorsichtig, wie sie bemerkte, um ihre Finger nicht zu berühren.
Sie fragte: »Sind Sie nicht ein bisschen zu alt, um sich noch mit solchem Spielzeug zu beschäftigen?«
Er sagte völlig gleichmütig, wie auswendig gelernt: »Das ist kein Spielzeug; es ist eine Miniatur-Militärfigur.«
Wie viele Male hatte sie ihn das als Junge sagen hören!
Er sah sie an, die Augen noch immer ganz schmal. »Das haben Sie in Ihrem Zimmer gefunden?«
»Ja. Wie es zweifellos von Ihnen beabsichtigt war.«
Er verzog das Gesicht. »Sie glauben, ich sei in Ihrem Zimmer gewesen? Diese Anschuldigung ist unvorstellbar lächerlich, wenn nicht skandalös.«
Emma wurde ganz heiß vor Zorn, doch es gelang ihr, mit kühler Gelassenheit zu sagen: »Ich hatte gehofft, dass es unvorstellbar wäre, aber in Longstaple waren heimliche Besuche Ihrerseits in meinem Zimmer keinesfalls unter Ihrer Würde.«
Er warf einen raschen Blick über die Schulter, dann trat er näher. »Sie sollten sich vielleicht etwas zurückhalten, wenn Sie von meiner Zeit im Pensionat Ihres Vaters sprechen, Miss Smallwood.« Er senkte die Stimme. »Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, wie ein Fremder, der ihre Bemerkung zufällig aufschnappt, sie missverstehen könnte?«
Emma spürte, wie ihr Hals und ihre Wangen heiß wurden. Doch dann hob sie wieder das Kinn. Sie hatte nichts Unrechtes gesagt. »Mag sein, dass meine Formulierung etwas unglücklich war, doch das ist nichts gegen Ihr Verhalten damals.«
Er biss sich auf die Lippen, als hätte er sie nicht gehört. »In welches Zimmer haben sie Sie gesteckt?«
»Als wenn Sie das nicht wüssten.«
Doch seinem festen Blick konnte sie nicht standhalten. »In den Südflügel. Um die Ecke, das letzte Zimmer links.« Warum sagte sie ihm, wo er sie finden konnte, falls er tatsächlich noch nicht in ihrem Zimmer gewesen war?
Er verzog wieder das Gesicht, als er ihre Antwort hörte. »Lady Westons Idee, natürlich.«
Er warf einen weiteren Blick auf die Soldatenfigur, dann steckte er sie in seine Jackentasche. »Den hat wahrscheinlich einer der Jungen vor vielen Jahren dort liegen gelassen. Das Zimmer wurde seit Urzeiten nicht mehr benutzt.«
Er sah sie wieder an, dann fragte er zögernd: »Oder hatten Sie einen besonderen Grund zu denken, dass ich in Ihrem Zimmer gewesen sei – außer wegen dem Soldaten?«
»Irgendetwas hat mich aufgeweckt. Ich glaubte, jemanden gehört zu haben. Und ich habe etwas gerochen … Rasierseife, glaube ich. Oder Lorbeer-Haarwasser.«
Sein Blick war auf sie gerichtet, aber abwesend, wie nach innen gekehrt. Dann straffte er sich. »Ich versichere Ihnen, Miss Smallwood, ich war letzte Nacht nicht in Ihrem Zimmer. Wahrscheinlich war gar niemand darin. Aber bitte sagen Sie es mir, wenn so etwas noch einmal geschieht. Und was Sie glauben gehört zu haben … vielleicht haben Sie ja gehört, wie ich meinem Vater gegenüber laut wurde. Wenn ja, entschuldige ich mich hiermit.«
Sie nickte, wusste aber, dass er etwas verbarg. »Ich … ich hoffe, es ging nicht um mich und meinen Vater.«
Er zögerte. »Es war ein Missverständnis, Familienangelegenheiten betreffend. Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten.«
Emma sagte: »Es tut mir leid, wenn wir zu einem ungelegenen Zeitpunkt gekommen sind. Aber wir hatten Ihrem Vater unsere Ankunft mitgeteilt.«
Er hob die Hand in einer unbestimmten Geste. »Mein Vater ist nicht besonders sorgfältig, was Details betrifft. Deshalb überlässt er die Verwaltung unseres Anwesens auch weitgehend Mr Davies und mir.«
Emma verschlang ihre Hände ineinander. »Dann … dann haben Sie nichts dagegen, dass wir hier sind?«
Henry betrachtete sie eingehend, dann wandte er den Blick ab. »Das wird sich zeigen.«
5
Nach dem [Schiff]bruch bei St. Minver … wurden zwei Männer, die sich zu weit aufs Meer
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