Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
mein Finger liegen bleibt. Extrapunkte für alles, was ihr mir über die Landschaft des betreffenden Landes, seine Geschichte, Sprache oder Religion sagen könnt.«
Als Erstes blieb ihr Finger auf einer Insel im Indischen Ozean vor der Südostküste Afrikas liegen. »Wie heißt dieser Ort?« Sie ließ ihren Finger, wo er war, sodass er die winzige Schrift zudeckte und sie die Antwort nicht ablesen konnten.
»Das weiß keiner«, sagte Rowan, »und das interessiert auch keinen.«
»Das stimmt nicht. Mich interessiert es.«
Sie identifizierte die Insel als Madagaskar und schubste den Globus erneut an. Diesmal landete ihr Finger auf dem Kontinent jenseits des Atlantischen Ozeans, gegenüber von England.
Dieser Name war einfach, doch die folgenden Drehungen waren weniger erfolgreich.
Rowan beschwerte sich. »Kein Mensch kennt all diese Orte.«
»Doch, ich«, sagte Emma.
»Beweisen Sie es«, forderte Julian sie heraus.
Emma zögerte. Würde das helfen? Sie wusste es nicht, beschloss aber, dass es einen Versuch wert war. »Gerne. Ihr dürft mich auf die Probe stellen. Ihr deutet auf einen Ort und findet heraus, was ich euch darüber erzählen kann.«
Sie tauschten die Plätze, was die beiden jungen Männer sichtlich belebte. Eifrig drehten sie abwechselnd den Globus und versuchten, die Tochter des Hauslehrers zu verwirren – Griechenland, die Kanarischen Inseln, Litauen, Terra Australis , doch vergeblich.
Rowan lehnte sich zurück und schüttelte verwundert den Kopf. »Sind Sie denn an all diesen Orten gewesen?«
»Nein. Dieses Privileg hatte ich leider nicht.«
Julian sagte: »Zu schade, dass Frauen nicht wie junge Männer auf Grand Tour gehen.«
»Das tun nur reiche junge Männer«, korrigierte ihn Rowan. »Oder die, die keine Verpflichtungen haben, die sie daran hindern. Schau doch Henry an. Er war auch noch nirgendwo.«
Emma erinnerte sich an Henrys Worte in der Chapel of the Rock. » Wie mein Leben hätte sein können. « Hatte er von den Orten gesprochen, die er nie gesehen hatte?
Sie sagte: »Es gibt Frauen, die haben ganz allein weite Reisen unternommen und anschließend Berichte über ihre Reisen veröffentlicht. Ich habe sie gelesen.«
Rowan grinste. »Romane natürlich.«
»Absolut nicht. Lebendige Beschreibungen schöner, historischer Stätten … ich zeige sie euch.«
Sie ging zum Bücherregal, überflog die oberste Reihe, wo die Bücher aufgestellt waren, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, wählte eins aus und blätterte durch die zerlesenen Seiten. »Dieses Buch hat Lady Mary Wortley Montagu vor fast hundert Jahren geschrieben.« Sie fand eine ihrer Lieblingsstellen und las vor:
»28. August 1718. Genua.
Ich bin hier umgeben von den mannigfaltigsten Freuden und Genüssen und so verzaubert von den Schönheiten Italiens, dass ich es wahrlich für undankbar hielte, wollte ich mich nicht mit ein wenig bescheidenem Lob für die Kurzweil bedanken, die ich hier erleben durfte.
Genua liegt in einer wunderschönen Bucht. Die Stadt selbst ist an einem hinter dieser Bucht aufsteigenden Hang erbaut, besitzt eine Unzahl von Gärten und architektonischen Meisterwerken und bietet einen herrlichen Blick aufs Meer. Die Straße, die den Namen Nuova Strada trägt, ist nach meinem Dafürhalten gesäumt von den schönsten Bauten der Welt.
Doch nichts entzückt mich so sehr wie die Bildersammlung mit Werken von Raphael, Paulo Veronese, Tizian, Michelangelo, Guido und Corregio …«
»Michelangelo, Guido und Corregio …« wiederholte Rowan sehnsüchtig. »Meint sie Guido Reni oder Guido Cagnacci?«
Emma antwortete: »Reni, glaube ich.«
Rowan nickte. »Ja, wahrscheinlich Reni, wenn sie über Genua schreibt …« Seine Augen leuchteten vor Ehrfurcht.
Julian fragte: »Wo würden Sie hinfahren, Miss Smallwood, wenn Sie nur in ein einziges Land auf der ganzen Welt reisen könnten?«
»Was für eine nette Frage.« Sie überlegte und das Bild auf der Teetasse ihrer Mutter tauchte vor ihrem inneren Auge auf. »Wenn ich einen Ort aussuchen müsste, würde ich Italien wählen.«
Rowan nickte wieder. »Ich auch.«
Emma hatte eine Idee. Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Stellt euch vor, ihr würdet bald auf eure Grand Tour gehen und müsstet eure Reiseroute planen. Ihr dürft alle meine Bücher hier benutzen, die Karten und sämtliche anderen Quellen, die euch einfallen – Zeitungen oder Bücher aus der Bibliothek eures Vaters. Schreibt auf, wo ihr hinfahren wollt, wie ihr dort hinkommen könnt,
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