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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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wie lange ihr an jedem Ort bleiben, was ihr dort ansehen und tun wollt.«
    Ein solches Projekt würde ihr selbst große Freude machen. Sie schaute die Jungen an und wartete auf einen höhnischen Blick oder ein Stöhnen, doch stattdessen sah sie tatsächlich so etwas wie einen Funken Interesse in ihren Augen. Sie hoffte, die Aufgabe würde ihre Neugier auf die Welt jenseits von Cornwall wecken.
    Henry, der vor dem Schulzimmer stand, hatte die letzten Gesprächsminuten mit angehört. Er war angerührt von der unterdrückten Leidenschaft in der Stimme seiner Halbbrüder. Er musste wirklich daran denken, einen anderen Zeichenlehrer für Rowan einzustellen, damit er sein angeborenes Talent vervollkommnen konnte.
    Überrascht war er auch, als er von Miss Smallwoods Wunsch hörte, nach Italien zu fahren. Er hätte nicht gedacht, dass eine so weite Reise – mit all ihren Risiken, unvermeidlichen Verspätungen, Hitze, Schmutz und Müdigkeit – ihrer praktischen, ordentlichen Natur tatsächlich verlockend erscheinen könnte.
    Interessant , dachte er.
    Er dachte bei sich, dass sie die Realität einer solchen Reise sicherlich als sehr viel weniger angenehm empfinden würde, als in einem Lehnsessel in einem gemütlichen englischen Wohnzimmer darüber zu lesen. Aber es wäre natürlich schön, wenn er sich irrte.
    Er bedauerte, dass er selbst nie auf Grand Tour würde gehen können. Schon bald nach seiner Rückkehr aus Oxford hatte sein Vater ihn gebeten, die Tagesgeschäfte des Anwesens zu übernehmen und an seiner Stelle mit Mr Davies zusammenzuarbeiten. Doch auch wenn sein Vater ihn nicht gefragt hätte, hätten ihre Finanzen Henrys Einschätzung nach eine größere Reise wohl kaum erlaubt. Inzwischen sah ihre finanzielle Lage etwas besser aus, doch es bestand kaum eine Chance, dass er in absehbarer Zeit auf Reisen würde gehen können. Allerdings verspürte er im Hinblick auf die jüngsten Neuankömmlinge auf Ebbington Manor noch nicht einmal den Wunsch dazu.

    An diesem Abend schlief Emma mit dem Gedanken an ihre Tante Jane ein – daran, wie sie es genossen hatten, zusammen Reisetagebücher zu lesen und eine Reise zu planen, die sie selbst »eines Tages« unternehmen wollten. Nicht, dass eine von ihnen glaubte, diesen Plan jemals in die Tat umsetzen zu können, doch es war trotzdem schön gewesen, darüber nachzudenken und Pläne zu schmieden. Zu träumen.
    Plötzlich schreckte sie hoch. Hatte sie Schritte neben ihrem Bett gehört? Aber die Tür war doch gar nicht aufgegangen. Hatte sie nur geträumt? Sie lag da, mit klopfendem Herzen, horchte angestrengt und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, doch vergeblich.
    Wenn jemand in ihr Zimmer gekommen war, um ihr einen Streich zu spielen, würde sie auf keinen Fall wehrlos daliegen und sich ihrem Schicksal ergeben.
    Sie setzte sich auf. »Wer ist da?«, flüsterte sie. Ihre Stimme war nur ein kleinmädchenhaftes Quieken.
    Schweigen .
    Obwohl sie sich töricht vorkam, als spräche sie ins Leere hinein oder mit einem Gespenst, zwang sie ihre Stimme zu dem ruhigen, festen Ton, den sie gewöhnlich aufsässigen Schülern gegenüber anwandte. »Verlassen Sie sofort mein Zimmer.«
    Ein Dielenknarren. Ein schlurfendes Geräusch. Ein Quietschen. Du meine Güte, es war tatsächlich jemand hier. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, sodass sie keinen Schrei hervorbrachte.
    Die Türklinke klickte, dann war es wieder still. Nicht das bedeutungsschwere, erwartungsvolle Schweigen wie einen Augenblick zuvor, sondern ein stilles, statisches Nichts – bis auf ihr eigenes jagendes Herzklopfen. Sie war ganz sicher, dass, wer immer gerade noch dagewesen war, ihr gehorcht hatte und geflohen war.
    Was sollte sie jetzt tun? Ihren Vater wecken … oder Henry? Warum hatte sie überhaupt an Henry gedacht? Bestimmt hatte sie eigentlich Phillip oder Sir Giles gemeint. Doch sie wollte keine Anschuldigungen erheben, ohne Beweise zu haben, nicht nach den Zweifeln über das »verschwundene« Tagebuch. Und sie wollte ihren Vater auch nicht beunruhigen.
    Sie stand auf. Ihre Zimmertür besaß kein Schloss. Sollte sie einen Stuhl unter die Klinke klemmen? Sie überlegte kurz, dann ging sie quer durchs Zimmer und tastete nach ihrem Trinkglas neben dem Krug und der Waschschüssel.
    Sie nahm es, ging damit zur Tür, kniete sich hin und stellte es vor die Tür auf den Boden. Das würde zwar niemanden hindern hereinzukommen, aber sie würde es auf jeden Fall hören, wenn ein Eindringling die Tür

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