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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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sie mit früheren Eintragungen.
    Ein leises Klopfen unterbrach ihn. Er blickte auf und sah überrascht, dass Emma Smallwood in der Tür stand. Sie hielt sich sehr aufrecht; ihr war sichtlich unwohl in seiner Gegenwart. Das war sein Fehler, wie er sehr gut wusste.
    Er bedauerte immer noch, wie er sie behandelt hatte. Noch heute, Jahre später, krümmte er sich innerlich beim Gedanken daran, wie sie damals zu ihrer Mutter gesagt hatte: » Er ist kein Gentleman. Jedenfalls verhält er sich nicht wie einer. «
    Er steckte seine Feder in den Halter und stand auf. »Kommen Sie doch herein, Miss Smallwood. Was kann ich für Sie tun?«
    »Gar nichts«, erwiderte sie schroff. »Aber vielleicht erinnern Sie sich … ich habe doch die … äh … Miniatur-Militärfigur in meinem Zimmer gefunden und Sie haben mich gebeten, es Ihnen zu sagen, wenn so etwas Ähnliches noch einmal vorkommt.«
    Henry versteifte sich, als erwarte er einen Schlag. »Ja?«
    Sie trat näher, bis dicht vor seinen Schreibtisch, die Hände sittsam zusammengelegt. »Ich möchte mich nicht beschweren oder irgendjemanden beschuldigen, aber ich glaube, letzte Nacht war jemand in meinem Zimmer.«
    Er zog eine Braue hoch. »Noch ein Spielzeugsoldat?«
    »Spielzeug?«, wiederholte sie. In ihren Augen sah er, dass sie sich amüsierte, doch er reagierte nicht auf den Köder, sondern blieb einfach stehen und sah sie an.
    Sie wurde wieder ernst. »Äh – nein. Es war nichts Fassbares. Das heißt, es blieb kein Gegenstand zurück. Aber ich fand einen Handabdruck am Spiegel und im Zimmer war ein starker Geruch.«
    »Wieder Lorbeeröl?«, fragte er misstrauisch, denn er benutzte dieses besondere Haarwasser und war dabei nicht der einzige Weston.
    »Nein, diesmal nicht. Es war ein Damenparfum. Sehr blumig und süß.«
    Henry straffte sich, doch seine Stimme blieb leise. »Es war nicht Ihres, nehme ich an?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Und Lady Weston, habe ich gehört, trägt keinen Duft. Lizzie auch nicht.«
    »Hmmm …« Henry schürzte nachdenklich die Lippen. Dann fragte er: »Darf ich es sehen?«
    Miss Smallwood blinzelte zu ihm hoch: »Den Handabdruck?«
    Er nickte.
    »Oh. Ja, natürlich.«
    Doch das Zögern in ihrer Stimme entging ihm nicht.
    Emma war etwas unbehaglich bei dem Gedanken, dass ein Gentleman ihr Schlafzimmer betrat, doch sie ging ihm tapfer voraus. Sie dachte daran, dass dies sein Zuhause war und dass seine Absichten nicht nur ehrbar, sondern zudem völlig unpersönlich waren. Offiziell jedenfalls.
    Während sie die Treppe hinaufstieg, war sie sich bewusst, dass er unmittelbar hinter ihr war, und sie widerstand dem Drang, mit der Hand nach hinten zu fassen und ihre Röcke zu richten. Schweigend gingen sie den Flur entlang und um die Ecke. Vor ihrem Zimmer blieb sie stehen, öffnete die Tür, trat ein und ließ die Tür für ihn offen. Sie ging durch den Raum zum Spiegel, sah jedoch, dass er auf der Schwelle stehen geblieben war.
    Emma starrte auf den Spiegel – den blitzblanken Spiegel – und seufzte. »Anscheinend hat Morva ihn schon weggeputzt.« Wie dumm, dass sie daran nicht gedacht hatte.
    Im Spiegel sah sie, wie Henry das Gesicht verzog und versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen.
    Sie drehte sich zu ihm um und sagte: »Die Handfläche war ungefähr gleich groß wie meine, aber die Finger waren ein bisschen kürzer.« Sie hielt ihre Hand hoch, die Finger zeigten zur Decke.
    Er trat zu ihr, hob seine linke Hand – entsprechend ihrer rechten – und hielt sie dicht vor die ihre, ohne sie jedoch zu berühren. Seine Handfläche war größer, seine Finger waren dicker und länger als ihre.
    Er fragte ironisch: »Bin ich entlastet?«
    Sie schluckte. »In dieser Sache, ja.«
    Er legte den Kopf schräg und verzog den Mund abermals zu einem ironischen Grinsen. »Werden Sie mir den Rest denn nie vergeben?«
    Einen Moment lang erwiderte Emma seinen Blick, doch dann wandte sie als Erste die Augen ab, plötzlich unerklärlich nervös. »Wenn der Handabdruck nicht wäre«, sagte sie, »wäre ich versucht, an Julians Gespenst zu denken. Ein weibliches Gespenst mit einer Vorliebe für Parfum.«
    Sein Lächeln erstarb. »Der Geist meiner Mutter, nehme ich an?«
    Emmas Magen verknotete sich. »Verzeihen Sie. Wie gedankenlos von mir!«
    Sein Gesicht wurde hart. »Julian hat unrecht, Miss Smallwood. Es gibt kein Gespenst – so gern gewisse Familienmitglieder es Sie auch glauben machen wollen.«
    Sie wagte einen Blick in sein versteinertes Gesicht.

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