Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
»Und warum wollen sie mich das glauben machen?« Sie brachte ein halbherziges Lachen zustande. »Wollen sie uns etwa vergraulen?«
»Nein, das habe ich nicht gemeint.« Er stieß frustriert die Luft aus. »Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Ich weiß, dass Sie Dummheit noch nie vertragen haben.«
»Das stimmt. Aber Eindringlinge mag ich noch weniger.«
»Sie haben nichts zu befürchten, Miss Smallwood.«
Sie sah ihn kühl an. »Ich habe keine Angst.«
Er erwiderte ihren Blick, voller Hochachtung für ihre Fassung. »Gut. Ich glaube nämlich nicht, dass Sie in Gefahr sind.«
»Und wenn Sie sich irren?«
Er fuhr sich mit der Hand durch sein lockiges Haar. »Dann schließen Sie eben Ihre Tür ab.«
Sie deutete zur Tür. »Sie hat kein Schloss.«
Er trat an die Tür und bewegte die Klinke. »Ich werde danach sehen lassen.« Dann sah er sie wieder an. »Ich kümmere mich darum, Miss Smallwood. Danke, dass Sie es mir erzählt haben. Bitte – sagen Sie es sonst niemandem. Wenn Sie es Ihrem Vater erzählen möchten, müssen Sie das natürlich tun, aber …«
»Das Hausmädchen hat den Abdruck gesehen und ich habe Lizzie erzählt, dass ich Parfum gerochen habe, aber sonst habe ich zu niemandem ein Wort gesagt und werde auch nichts sagen.«
»Danke.« Er verbeugte sich kurz. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.«
Sie neigte den Kopf, doch er hatte sich bereits umgewandt und ging aus dem Zimmer. Sie lauschte seinen festen Schritten den Flur hinunter; anscheinend hatte er zu tun.
Henry ging direkt in sein Schlafzimmer. Er durchquerte den Raum und trat an den Nachttisch, wo er das Parfum und das Zigarrenkästchen liegen gelassen hatte, statt sie an ihren gewohnten Platz unten im Schrank zu legen. Doch das schlanke, grüne Fläschchen lag nicht oben auf dem Kästchen, wo er glaubte, es hingelegt zu haben. Er öffnete das Kästchen und durchwühlte seinen Inhalt – vergebens.
Dann setzte er sich aufs Bett, nahm das Kästchen auf den Schoß und schaute genauer nach. Er fand das Taschentuch seiner Mutter, das leere, schlaffe Taschentuch, doch das Parfum war fort, wie er befürchtet hatte. Die Schachfigur ebenfalls. Wer hatte die Sachen genommen? Ein gieriges Hausmädchen? Sein Kammerdiener?
In seinem Hinterkopf lauerte die sehr viel wahrscheinlichere Antwort, doch er beschloss, sie zu ignorieren. Er überlegte, ob er seinen Bruder fragen sollte oder vielmehr alle seine Brüder, doch dann dachte er an seinen Termin in Stratton. Alles andere musste warten.
An diesem Abend verkündete Lady Weston im Wohnzimmer, ihre Freundin, Mrs Penberthy, und deren entzückende Tochter hätten die Einladung nach Ebbington Manor angenommen.
Henry stand am Kamin, starrte ins Feuer und hörte uninteressiert zu, wie seine Stiefmutter Pläne machte, doch nach einer Weile verwandelte sich seine Gleichgültigkeit in Ärger und schließlich in Zorn, je länger sie schwadronierte.
Die Penberthys waren schon häufiger auf Ebbington Manor zu Gast gewesen und Henry hatte es bei diesen Gelegenheiten stets genossen, sich mit Mr Penberthy zu unterhalten. Das war aber auch der einzige Lichtblick gewesen, wenn diese Familie sie besuchte. Mehr als einmal hatte Henry sich mit Sir Giles und Mr Penberthy in die Bibliothek geflüchtet oder sie waren nach dem Essen einfach am Tisch sitzen geblieben, obwohl die Höflichkeit es geboten hätte, zu den Damen ins Wohnzimmer zu gehen. Mr Penberthy war ein guter Gesellschafter gewesen, doch er war vor über einem Jahr gestorben und nun hatte Henry regelrecht Angst vor dem bevorstehenden Besuch der Witwe und ihrer Tochter.
Jedes Mal, wenn Lady Weston und Mrs Penberthy zusammen waren, zirpten sie unaufhörlich, wie zwei exotische Vögel in einem Londoner Vogelhaus. Nichts als buntes Federkleid und gebetsmühlenhaftes, belangloses, Kopfschmerzen verursachendes Geschnatter. Ganz zu schweigen von der Gefiederpflege.
Tressa Penberthy war ruhiger als ihre Mutter, was, wie Henry zugab, für sie sprach. Sie war nicht unattraktiv, nahm er an, doch er selbst fühlte sich absolut nicht von ihr angezogen. Sie war ein kräftiges, rothaariges Mädchen in unvorteilhaft engen Kleidern. Darüberhätte er hinwegsehen können. Darüber und auch über ihre schiefen Zähne. Doch das junge Mädchen war so dumm wie der Brieföffner seiner Großmutter, so glatt und uninteressant wie ein Fels am Strand, poliert von der nie verebbenden Flut des törichten Geschwätzes ihrer Mutter.
Phillip, so dachte er, kam sehr viel
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