Die Tochter des Kardinals
Verfolgung auf. Wir entdeckten die Nonnen auf dem Laufgang vor den Kasematten und jagten sie weiter hinab.«
»Was geschah weiter?«, fragte Carafa.
»Gerade wollten sie hinunter zu den Kerkern fliehen, um den Passetto zu erreichen«, sagte Fleckenstein, »als eine von ihnen sich umwandte.«
»Aha!«, machte Carafa. »Warst du in der Lage, das Gesicht dieser Hure Satans zu erkennen?«
»Das war ich, Euer Eminenz.«
»Ist sie heute hier anwesend?«
»Ja, Euer Eminenz.«
Carafa stemmte die Hände in die Hüften. »Dann zeige auf sie und nenne der Rota ihren Namen.«
Fleckenstein streckte einen Arm aus und deutete auf Giulia. »Das ist sie«, sagte er. »Schwester Giulia.«
Laute Rufe nach dem Tod der Angeklagten erklangen aus der Zuschauermenge. Wütende, wild fuchtelnde Fäuste erhoben sich drohend.
»Ich halte fest«, sagte Carafa, »dass der Gardist Fleckenstein die Angeklagte eindeutig erkannt hat. Somit ist erwiesen, dass sich die Angeklagte an besagtem Tage auf die Engelsburg geschlichen hat, wo die hohen Herren Roms und der Kirche bei einem Fest zusammenkamen. Der Grund für ihr heimliches Erscheinen liegt auf der Hand: Sie wollte Informationen sammeln. Sie wollte erfahren, worüber die Anwesenden sich unterhielten, um ihren Hintermännern alles Wissenswerte berichten zu können. Sie ist eine Spionin der Lutheraner!«
Um der aufkommenden Unruhe im Saal Herr zu werden, schlug Castagna mit dem Hammer heftig auf den Tisch.
»Fehlt nur noch eine Kleinigkeit«, fuhr Carafa fort. »Wer war ihre Komplizin bei dieser schändlichen Tat?«
»Der Rota genügt der Schuldbeweis der Angeklagten«, rief Castagna dazwischen. »Wir glauben nicht, dass die Angeklagte ihr bisheriges Schweigen brechen wird.«
»Die Rota verlangt nach vollkommener Aufklärung, Euer Eminenz«, warf einer der Auditoren ein. Zu Carafa gewandt, sagte er: »Fahrt fort.«
Carafa drehte sich Giulia zu. »Nennt der Rota den Namen Eurer Mitverschwörerin.«
Giulia sah ihn nicht an. Niemals würde sie Fulvias Namen verraten. Keine Drohung könnte sie dazu bewegen.
»Sprecht endlich!«, befahl Carafa.
Giulia schwieg weiter.
»Nennt den Namen oder Ihr werdet der peinlichen Befragung unterzogen!«, fauchte Carafa. »Wenn Euch mit glühenden Zangen die Fingernägel aus dem Fleisch gerissen werden, sagt Ihr uns ohnehin alles, was wir wissen wollen.«
Übelkeit stieg in Giulia auf. Sie wusste, dass der Wille eines jeden Menschen mit den Mitteln des peinlichen Verhörs gebrochen werden konnte. Was sollte sie nur tun? Dann plötzlich kam ihr der rettende Einfall. »Schwester Tiziana«, sagte sie. »Es war Schwester Tiziana, die mich auf die Engelsburg begleitet hat.«
Carafa fuhr herum »Was sagt Ihr da?«
»Ihr habt es gehört«, erwiderte Giulia.
»Schwester Tiziana ist vor drei Monaten einer schweren Krankheit erlegen«, sagte Castagna. »Damit dürfte diese Frage sich erübrigt haben, Kardinal Carafa.«
Es hatte den Anschein, als wollte Carafa Giulia mit bloßen Händen erwürgen. Er streifte um sie herum wie ein Löwe um seine Beute. Giulia beeindruckte die Haltung Carafas nicht mehr. Ihr Leben war verwirkt, der Schuldspruch müsste sogleich folgen.
In eben diesem Augenblick erreichte Rufina das Portal des Gerichtssaales. Zwei Gardisten hielten Wache. Vor ihnen stand eine Gestalt, die in einen langen braunen Mantel gehüllt war. Die Kapuze hatte sie weit über den Kopf ins Gesicht gezogen.
Rufina trat näher. Sie hörte die wimmernde Stimme einer jungen Frau unter der Kapuze. »Warum weint Ihr?«, fragte Rufina die Frau.
»Hinter diesen Türen geschieht großes Unrecht«, sagte die junge Frau.
Rufina versuchte, das verhüllte Gesicht zu erkennen, doch die Frau wandte sich von ihr ab. »Ich weiß, mein Kind.«
»Ich bin gekommen, es zu verhindern«, fuhr die Frau fort. »Doch die Wachen lassen mich nicht ein.«
Rufina schaute die Gardisten an, die ihrem strengen Blick ausdruckslos begegneten. »Warum lasst Ihr die junge Dame nicht ein?«, wollte sie wissen.
»Es ist ihr nicht gestattet, der Verhandlung der Römischen Rota beizuwohnen«, antwortete der Gardist.
»Aus welchem Grunde nicht?«
»Sie ist keine Angehörige der Kirche.«
»Sie ist gewiss eine gute Katholikin«, sagte Rufina.
»Das bin ich«, sagte die junge Frau.
»So lasst uns ein«, verlangte Rufina erneut.
»Sie ist keine Geistliche«, erwiderte der Gardist.
Rufina schnaufte. »Dies dürfte auf mich wohl kaum zutreffen«, sagte sie. »Also öffnet endlich dieses
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