Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
Vom Netzwerk:
sich zu sagen. Ihre Gedanken rasten in ihrem Kopf. War es möglich, dass Carafa nicht sorgender Freund, sondern erbitterter Feind des Heiligen Vaters war? Aber warum sollte sie dann auf sein Geheiß Seine Heiligkeit schützen? Welchen Sinn ergab dann ihre Berufung nach Rom?
    Noch bevor Giulia diese Fragen beantworten konnte, klang Fulvias Lachen durch den Gang.
    Schnell raunte Geller in Giulias Ohr: »Versprecht mir, auf Euch zu achten. Sollte irgendetwas Merkwürdiges geschehen, gebt mir Nachricht.«
    Giulia versprach es mit einem Nicken und wandte ihre Aufmerksamkeit der hübschen Fulvia zu.
    »Capitano«, sagte diese und lächelte, »wie schön, Euch zu sehen.«
    »Euer Anblick erfreut mein Auge, Schwester Fulvia«, sagte Geller und verneigte sich.
    Mürrisch beobachtete Giulia das Turteln. Zumindest nennt sie ihn nicht Francesco, dachte sie. »Du scheinst bester Laune zu sein, Fulvia«, sagte sie mit vorwurfsvollem Tonfall. »Was ist geschehen?«
    Fulvia lachte. »Meine Laune hebt sich durch die Gesellschaft des Capitano«, sagte sie und setzte ernst hinzu: »Doch was vor uns liegt, ist weniger spaßig. Mutter Prudenzia hat uns nämlich ausgewählt, in dieser Woche das Gelübde der Barmherzigkeit an den verlorenen Seelen Roms zu erfüllen.«
    »Die verlorenen Seelen Roms?«, echote Giulia. »Wen meinst du damit?«
    »Die Lebbrosi«, warf Geller ein. »Die Aussätzigen in den Katakomben.«
    »Wir bringen einmal in der Woche Kleidung und Nahrung zu diesen armen Menschen, die in der Dunkelheit der Katakomben leben müssen«, sagte Fulvia. »Abgeschnitten von Tageslicht und menschlicher Wärme.«
    »Ich gebe Euch eine Abteilung meiner Gardisten zu Eurem Schutz mit«, sagte Geller.
    »Ist es gefährlich dort?«, fragte Giulia. Sie hatte keinerlei Erfahrung mit Aussätzigen.
    Fulvia schüttelte den Kopf. »Uns droht keine Gefahr von ihnen. Sie sind dankbar für die milden Gaben und würden uns niemals ein Haar krümmen.«
    »Ist schon einmal eine Schwester erkrankt?«, wollte Giulia wissen.
    »Nein«, sagte Fulvia. »Die Ärzte sagen, die Zeit, die wir dort verbringen, reicht nicht aus, dass wir uns anstecken.«
    Giulia schluckte ihre Angst hinunter. »Gut, gehen wir.«
    Die Nonnen verabschiedeten sich von Capitano Geller.
    Vor den Toren des Petersdoms wartete ein Karren mit einem Pferd davor. Auf dem Karren lagen allerlei Kisten und Fässer.
    »Ist es weit?«, fragte Giulia.
    »Es dauert zwei Stunden«, sagte Fulvia. Sie schwang sich auf den Karren, und Giulia setzte sich neben sie. Fulvia griff in die Zügel, und der Karren setzte sich in Bewegung.
    Sie fuhren auf einer breiten Straße den Tiber entlang, bis sie in Trastevere den Tiber über den Ponte Sublicio überquerten. Sie redeten nicht viel, und so blieb Giulia endlich Zeit, die Stadt und die Menschen näher zu betrachten.
    Anfangs wirkte die Stadt verlassen. Wohin das Auge blickte, nur Ruinen aus den großen Tagen Roms. Statuen längst vergessener Bürger, Kaiser und Götter standen einsam auf bewachsenen Hügeln. Es waren die Tiere, die nun in den verblassten Überresten der alten Epoche lebten.
    Erst ab den Terme di Caracalla fuhr der Karren an den Häusern reicher Bürger vorbei. Sie waren mit mächtigen Säulen Rundbögen und Statuen ausgestattet. Die Straßen waren sauber, die gesamte Umgebung wirkte gepflegt. Lachende Kinder tollten, mit Holzschwertern bewaffnet, herum, und der Duft von Blumen, Gebäck und gebratenen Tauben erfüllte die Luft.
    Gleich darauf erblickte Giulia einen großen Markt auf der Piazza di Borgia, auf dem Bauern und Händler ihre Waren und bunt bemalte Huren ihren Körper feilboten. Vor einer kleinen Bühne stand eine Menschentraube und starrte ungläubig eine bärtige Frau an. Dahinter stritten Betrunkene um ein paar Münzen. Es roch nach Schweineblut, altem Fisch und Schweiß.
    Je mehr Giulia sah, desto geringer wurden die Unterschiede zwischen den Bewohnern Roms und den Menschen in Giulianova. Ihre Wünsche und Träume waren die gleichen, nur dass in Rom Hunderttausende Wünsche und Träume miteinander konkurrierten.
    Hinter der Porta di San Sebastiano begann die Via Appia. Fulvia erklärte ihrer Mitschwester, dass es nun nicht mehr weit sei zu den Katakomben.
    Die Via Appia schien sich endlos hinzuziehen. Sie verlief kerzengerade gen Südosten. Zur Linken und zur Rechten standen nur wenige Behausungen. Ärmliche Hütten, vor denen alte Menschen in Lumpen hockten und trübsinnig vor sich hin starrten. Dabei war die Umgebung

Weitere Kostenlose Bücher