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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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traumhaft schön. Kleine grüne Hügel mit bunten Gewächsen und Olivenbäumen luden zum Verweilen ein. Unzählige Vögel durchschnitten die Stille mit ihren fröhlichen Gesängen. Eine angenehme Abwechslung für die Ohren nach dem lauten Trubel in der Stadt. Wäre da nicht die Nähe zu den Aussätzigen, die Bürger Roms würden gewiss die Armen vertreiben und ihre pompösen Paläste an diesem wundervollen Ort errichten. Dessen war sich Giulia sicher.
    »Wir sind da«, sagte Fulvia irgendwann und brachte den Karren zum Stehen. »Die Katakomben des heiligen Calixtus.«
    Giulia sah sich um. »Wo?«
    Fulvia lachte auf und deutete auf einen unscheinbaren Felsen abseits der Straße. Sie sprang vom Karren und wartete, bis auch Giulia heruntergestiegen war. Dann führte sie sie zu dem Felsen. Erst hier konnte Giulia sehen, dass davor ein dunkler Gang in die Tiefe führte. Es roch modrig, und Giulia fröstelte plötzlich.
    An dem Felsen hingen zwei rostige Eisenstäbe. Fulvia nahm sie in die Hände und schlug sie gegeneinander. Es gab ein dröhnendes Klirren. »Sie werden gleich hier sein«, sagte sie und ging zurück zum Karren.
    »Sie kommen hier herauf?«, wollte Giulia wissen, während sie hinter Fulvia herging.
    »Gewiss«, sagte diese und hob die erste Kiste vom Karren. Ohne zu zögern, schaffte sie sie zum Eingang der Katakomben.
    Giulia versuchte fieberhaft, nicht an die Gefahren zu denken, denen sie ausgesetzt war. Auch Fulvias gelöstes Verhalten vermochte sie nicht zu beruhigen. Zähneknirschend nahm sie eine Kiste mit Kleidern und trug sie hinter Fulvia her.
    Am Felseneingang erblickte sie die ersten vermummten Gestalten auf den Stufen. Zumeist lugte nur ein Auge unter den schmutzigen Lumpen hervor. Eingehend betrachteten die Kranken das unbekannte Gesicht.
    »Das ist Schwester Giulia«, sagte Fulvia, und die Aussätzigen winkten zum Gruß.
    Jetzt erkannte Giulia, dass einigen von ihnen Gliedmaßen fehlten – einzelne Finger, eine Hand oder gar ein ganzer Arm. Sie erschrak. Sie hatte sich nicht vorstellen können, auf welche Weise die Krankheit die Menschen entstellte, und tiefes Mitleid für diese armen Geschöpfe, die in der Finsternis und Kälte der Katakomben dahinsiechten, keimte in ihrem Herzen auf.
    Die Kräftigsten unter ihnen kamen nun ganz an die Oberfläche und strebten auf den Karren zu. Fulvia stieg mit einer Kiste in den Händen an den anderen vorbei in die Tiefe. Noch immer aufgewühlt von den Eindrücken, folgte Giulia.
    An den Wänden hingen Fackeln, die den vor Jahrhunderten behauenen Stein beleuchteten. Jeder Hammerschlag, der diesen Gang in den Fels getrieben hatte, war noch immer zu erkennen. Der unangenehme Geruch wandelte sich in bestialischen Gestank. Es roch nicht allein modrig, sondern nach Exkrementen, Eiter und Wundfraß. Mit aller Macht unterdrückte Giulia ein Würgen.
    Nach einem Dutzend Stufen erreichten sie den Boden. Gleich darauf tauchten die in den nackten Fels geschlagenen Grabkammern der ersten Christen Roms auf. Kleine, dunkle Verschläge, gerade groß genug, um einen Toten mit angewinkelten Beinen aufzunehmen. Die inzwischen leeren Winkel schienen Giulia wie tote Augen anzustarren. Es mussten Hunderte, Tausende sein.
    »Hier entlang!«, rief Fulvia. Einer der Vermummten schritt mit einer Fackel voran.
    Dem schimmernden Schein der Fackel folgend, drangen sie immer tiefer in die Katakomben vor. Gelegentlich sahen sie einen Aussätzigen in einer Nische hocken oder durch einen der unzähligen endlosen Gänge schlurfen.
    Schließlich gelangten sie unter ein hohes Gewölbe, das sich etwa einhundert Fuß hoch in den Fels erstreckte. Giulia erschrak. Hier warteten etwa fünfzig der armen Seelen und fristeten ihr trostloses Dasein. Auch Kinder waren darunter. Sie alle versteckten sich in den dreckigen, stinkenden Lumpen, die man ihnen als Almosen in ihre dunkle Gruft gebracht hatte. Hin und wieder verrutschten die Stoffe, und zu Fratzen verzerrte Gesichter ohne Nase und Ohren tauchten im fahlen Schein der Fackeln auf. Einige Kinder sprangen beim Anblick der Nonnen auf und suchten hinter den ausgemergelten, entstellten Körpern der Erwachsenen Schutz. Die Älteren waren weniger furchtsam. Sie kamen auf Giulia und Fulvia zu und nahmen ihnen mit fingerlosen Händen dankend die Kisten ab.
    Beim Anblick dieser armen Seelen vergaß Giulia ihre Furcht. Unendliches Mitleid ergriff Besitz von ihrem Herzen. Während Gottes Menschenschar unter den wärmenden Strahlen der Sonne leben durfte,

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