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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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mussten diese Kinder Gottes ein erbarmungswürdiges Dasein unter der Erde erdulden. Der Verdammnis näher als der Erlösung.
    »Schwester Fulvia!«, rief plötzlich eine sonore Stimme, in der Freude mitschwang.
    Ruckartig wandte sich Giulia in die Richtung um, aus der die Stimme kam. Eine hochgewachsene Erscheinung in schwarzen Tüchern kam auf sie zu. Auf dem Kopf trug der Mann einen großen schwarzen Hut mit breiter Krempe.
    »Giannozzo«, sagte Fulvia, als dieser sich vor ihr verbeugte. Fulvia deutete auf Giulia. »Dies ist Schwester Giulia, lieber Freund.«
    Durch einen Spalt in den Lumpen konnte Giulia erkennen, wie ein Lächeln um Giannozzos Augen spielte. »Es ist mir eine Freude«, sagte er.
    Giulia erwiderte das Lächeln und fragte sich, wie ein derart kranker Mann noch solche Kraft ausstrahlen konnte. Er hätte Gardist sein können, so wie er dastand. Den Rücken gerade, den Kopf stolz erhoben und die Hände in die Hüften gestemmt.
    »Giannozzo ist der uneingeschränkte Herrscher hier unten«, erklärte Fulvia. »Daher nennen ihn alle den König .«
    »Früher König der Vagabunden «, sagte Giannozzo, »heute König der Aussätzigen . Urteilt selbst, ob ich mich verbessert habe.« Er lachte schallend.
    Und dieses Lachen war so herzerfrischend, dass Giulia mit einfiel.
    »Ihr seid gute Menschen«, sagte Giannozzo und blickte von Fulvia zu Giulia. »Ihr beide. Ohne Eure Hilfe wären die Menschen hier unten alle tot.« Er breitete die Arme aus. »Was bringt Ihr uns heute?«
    »Kleider, Brot, Fleisch, Eier«, sagte Fulvia. »Alles, was Euer Herz begehrt.«
    Giulia öffnete einen kleinen Sack. Der Duft von Minze, Salbei und Basilikum strömte heraus und erfüllte die stickige Luft. »Und frische Kräuter«, sagte sie.
    Giannozzo schluckte. »Der Herr möge Euch segnen«, sagte er. »Immerdar.«
    Giulia beobachtete, wie fleißige Hände die Gaben der Schwestern verteilten. »Wie viele von euch leben hier unten, Giannozzo?«
    »Das weiß nur Gott allein«, antwortete dieser. »Die Katakomben erstrecken sich unter der ganzen Stadt. Ein Mensch bräuchte Wochen, sie zu durchmessen.«
    »Es betrübt mich, zu sehen, wie Ihr leben müsst«, sagte Giulia.
    »Grämt Euch nicht, Schwester Giulia«, sagte Giannozzo mit leiser Stimme. »Es ist ein Wesenszug des Menschen, dass er das, was er fürchtet, tötet oder verjagt. Wir wählen eher das Los, unter der Erde zu leben, als tot in der Erde zu liegen. Und seid beruhigt: Wir darben nicht. Dank der Mildtätigkeit des Heiligen Vaters und Eures Ordens geht es uns besser als manchem dort oben.« Er deutete an die Decke.
    »Wie lange lebt Ihr bereits hier unten?«, fragte Giulia.
    »Die meisten von uns seit fünf Jahren«, sagte Giannozzo. »Vorher lebten wir abseits von den Menschen in einem verlassenen Kloster in der Campagna zwischen Weinhügeln und Olivenhainen.«
    »Warum seid Ihr nicht mehr dort?«
    »Man hat uns fortgejagt«, sagte Giannozzo. »Einer der Porporati der heiligen Mutter Kirche wollte an diesem wundervollen Ort einen Landsitz errichten. So marschierte die Garde auf und vertrieb mich und meine Brüder und Schwestern. Wo wir auch hinkamen, wurden wir fortgescheucht wie dreckige Hunde. So schenkten uns allein diese Katakomben den Schutz, den wir oben vergeblich suchten.«
    Als Giannozzo von den Porporati sprach, horchte Giulia auf. Sie ahnte, welchen von den Purpurträgern er gemeint hatte, doch wollte sie es genau wissen. »Wie lautet der Name des Kardinals, der Euch aus der Campagna vertrieben hat?«
    »Ihr wollt seinen Namen hören?«, fragte Giannozzo und lachte auf. »Sein Name lautet Kardinal Callisto Carafa. Er möge in alle Ewigkeit verflucht sein.« Er spie auf den Boden.
    Giulia war entsetzt. Erst Gellers Warnung, nun Giannozzos unglaubliche Geschichte. Kardinal Carafa genoss keinen guten Ruf in Rom. So viel war gewiss. Nur, warum war ein derart charakterloser Mann wie Carafa so besorgt um das Leben des Heiligen Vaters? Müsste ihm nicht mehr daran gelegen sein, selbst auf dem Heiligen Stuhl zu sitzen, als den Mann, der gegenwärtig darauf saß, mit allen Mitteln zu beschützen? Das passte nicht zusammen. Entweder war Carafa nicht der Mann, der er vorgab, zu sein, oder man tat ihm Unrecht. Sie fürchtete, dass nur sie allein die Wahrheit herausfinden konnte. Doch bis dahin wollte sie versuchen, den Kardinal nichts von ihren Zweifeln spüren zu lassen.
    »Es wird Zeit«, sagte Fulvia. »Die Sachen sind hier unten verstaut, und wir können uns auf den

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