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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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dass sie sich mit der schrecklichen Krankheit anstecken könnte.
    Dann kam der Tag des Neumonds. Giulia hatte schlecht geschlafen und war schon lange vor dem Morgengebet aufgewacht. Sie fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, dachte aber immer wieder daran, wie wichtig ihr Vorhaben war, und kämpfte das Unwohlsein nieder.
    Tagsüber diente sie dem Heiligen Vater, nachmittags schrubbte sie Marmorböden, und am Abend ging sie zur Komplet. Nach dem Abendgebet begab sie sich in ihre Zelle. Dort wartete sie, bis Fulvia sie abholte. Sie eilten aus dem Petersdom und schlichen durch dunkle Straßen zum Ufer des Tiber, wo eine Kutsche bereitstand.
    Geller begrüßte die Schwestern. In zwei Taschen versteckt waren ein Kleid nebst Schuhen, Haube und Maske für Giulia und die Kleidung eines Dieners für Fulvia.
    »Dies hier«, sagte Geller und hielt Giulia eine Rose hin, an die eine kleine Perle geheftet war, »gewährt Euch Einlass. Zeigt sie unaufgefordert vor. Verliert ihr sie, bleibt Euch der Zutritt verwehrt.«
    Fulvia schaute auf den seidenbespannten Himmel der Kutsche. »Was ist mit dem Kutscher?«, fragte sie Geller.
    »Mit einem Golddukaten habe ich mir sein Schweigen erkauft«, antwortete Geller. Er klopfte gegen die Wand, und die Kutsche setzte sich in Bewegung.
    Giulia nahm ihren Schleier ab, und ihr lockiges dunkles Haar fiel auf ihre Schultern herab. Sie sah Gellers neugierigen Blick und sagte: »Schließt gefälligst die Augen, Francesco.«
    Geller tat, wie ihm geheißen. Während die Nonnen sich umzogen, beschwor er sie noch einmal eindringlich, ihr Vorhaben aufzugeben. »Es könnte Euch das Leben kosten«, sagte er.
    Fulvia schlüpfte in die zweifarbigen Beinlinge – die eine Seite rot, die andere blau. Die Nesteln befestigte sie an einem Gurt um ihre Hüfte. »Ich denke, es ist längst zu spät, um umzukehren, Capitano«, sagte sie und zog ein Wams aus Samt über ihren Kopf, das die gleichen Farben wie die Beinlinge besaß. Zu guter Letzt zwängte sie ihr Haar unter eine grüne Kappe.
    Für Giulia war es weitaus schwieriger, in ihr Gewand zu kommen. Ächzend und zeternd kämpfte sie mit dem Kleid aus braunem Brokat, bis sie von oben hineingestiegen war. Nun noch mit den Armen hinein, und dann knüpfte Fulvia es am Rücken zu. Die Schuhe waren ein wenig zu klein, die Haube war ein wenig zu groß, doch für ein paar Stunden würde es schon reichen.
    »Wir sind fertig«, sagte Fulvia.
    Geller öffnete die Augen. Bei Giulias Anblick stockte ihm der Atem. »Schwester Giulia«, hauchte er, »bei Gott, Ihr seid eine wahre Schönheit unter Roms Himmel!«
    Giulia errötete. Doch rasch gewann sie ihre Fassung wieder. »Ich bin eine Nonne«, sagte sie, ohne Geller anzusehen. »So dürft Ihr nicht sprechen.«
    Geller räusperte sich. »Verzeiht mir! Ich vergaß mich für einen Augenblick.«
    »Meint Ihr«, sagte Fulvia in die bedrückende Stille hinein, »man sieht mir die Täuschung an?«
    Geller schüttelte den Kopf. »Die Diener sind alle sehr jung und knabenhaft. Ich glaube kaum, dass man Eure Maskerade durchschauen wird.«
    Fulvia schürzte die Lippen. »Wollt Ihr damit sagen, dass ich einem Knaben ähnle, Capitano?«
    Geller begann zu schwitzen. »Mitnichten, Schwester. Ich meinte nur …« Erst das Gelächter der Nonnen zeigte ihm, dass Fulvia ihn auf den Arm genommen hatte. Zerknirscht knetete er seine Handschuhe.
    Fulvia schob einen Vorhang zur Seite und spähte hinaus. »Es ist Zeit«, sagte sie.
    Giulia faltete die Hände. »Heilige Katharina, beschütze uns«, flüsterte sie, und Fulvia bekreuzigte sich.
    »Bedenkt«, sagte Geller, »ich kann Euch nicht zur Hilfe eilen. Ihr seid auf Euch allein gestellt, sobald Ihr die Engelsburg betretet.«
    Fulvia nickte, drückte ein letztes Mal Giulias Hände, öffnete die Tür und stieg aus der Kutsche. Rasch verschwand sie in der Dunkelheit.
    »Möge Gott mit Euch sein«, sagte Geller und beobachtete, wie Giulia ihr Gewand richtete.
    Ohne zu überlegen, schnellte Giulia vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Habt Dank«, sagte sie. »Für alles.« Dann stieg auch sie aus.
    Der Eingang zur Engelsburg lag etwa dreihundert Schritte entfernt. Nach der Hälfte der Strecke trat Giulia aus dem Schatten der umliegenden Gebäude heraus in das Licht der Straßenlaternen. In der einen Hand hielt sie die Rose und ihre Maske, in der anderen den Saum ihres Kleides. Ohne Schleier und Habit fühlte sie sich nackt und schutzlos. Nie zuvor hatte man ihren Körper so enthüllt gesehen

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