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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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Gazetti ging ihm entgegen, und während der Papst sich setzte, reichte er ihm wie jeden Morgen die Mappe mit den Tagesgeschäften. Der Heilige Vater studierte die Dokumente und brummte dabei vor sich hin. Giulia stand in der hinteren Ecke des Raumes und wartete.
    Plötzlich klopfte es. Gazetti eilte zur Tür und steckte den Kopf hinaus. Giulia hörte, wie er leise mit jemandem sprach.
    Kurz darauf schloss Gazetti langsam die Tür. Sein Gesicht war blass, seine Bewegungen sahen unbeholfen aus wie die eines schlaftrunkenen Kindes.
    Der Papst sah auf. »Was ist mit Euch, Gazetti?«
    »Euer Heiligkeit«, hauchte Gazetti. Seine Stimme klang brüchig. »Seine Eminenz Kardinal Primo Pozzi ist heute Nacht in den Kerkern der Stadtpräfektur hingerichtet worden.«
    Fast hätte Giulia einen Schrei ausgestoßen. Sie schaffte es gerade noch, die Hände vor den Mund zu schlagen.
    Der Papst stand mit aufgerissenen Augen von seinem Stuhl auf. »Was sagt Ihr da?«, polterte er. »Hingerichtet? Auf wessen Befehl? Wie lautete die Anklage?«
    »Die Umstände sind mir noch nicht bekannt, Euer Heiligkeit«, sagte Gazetti. »Doch scheint es, als hätten die Kardinäle Carafa und Castagna den Befehl zur Hinrichtung gegeben.«
    »Heilige Mutter Gottes!« Der Papst trat zu einem der großen Fenster, schaute eine Weile hinaus und ging dann an seinen Tisch zurück. »Bringt Uns auf der Stelle den Vizekanzler der Kirche und den Großinquisitor des Heiligen Offiziums, Gazetti!«
    »Sehr wohl, Euer Heiligkeit«, sagte Gazetti und eilte hinaus.
    Nun war Giulia mit dem Papst und den beiden Gardisten, die vor der Tür Wache standen, allein im Raum. Sie beobachtete, wie der Papst sein Glas in einem Zug leertrank. Sie eilte mit der Karaffe zu ihm und wollte nachschenken, aber er hielt sie zurück.
    »Bring Uns Wein«, verlangte er.
    Giulia lief ins Nebenzimmer, nahm die schwere gläserne Karaffe mit dem dunkelroten Wein und hastete zurück. Sie goss den Becher voll, den der Papst sogleich leer trank, und füllte ihn erneut. Nur allzu gern hätte sie dem Papst von ihrem eigenen Verdacht gegen Pozzi berichtet, von ihrem Eindringen in die Engelsburg und in Pozzis Palazzo. Aber wie würde Seine Heiligkeit darauf reagieren? Gewiss würde er ihr Vorgehen nicht billigen. Sie war nur eine junge, unbedeutende Nonne. Es stand ihr nicht zu, Kardinäle und hohe Herren auszuspionieren und in deren Häuser einzubrechen wie ein ehrloser Spitzbube. Nein, sie musste Schweigen bewahren. Vorerst galt es abzuwarten, was Carafa und Castagna zu berichten wussten.
    Gazetti kehrte zurück. Hinter ihm betrat Kardinal Carafa den Raum. Er sah Giulia kurz an und richtete seinen Blick auf den Papst, während er näher trat.
    »Wo ist Castagna?«, fuhr der Papst Carafa an. »Wir haben auch nach ihm geschickt.«
    »Kardinal Castagna befindet sich in seiner Diözese südlich von Rom, um für die arme, verwirrte Seele von Kardinal Pozzi zu beten, Euer Heiligkeit«, sagte Carafa. »Ich bin gekommen, um Euch Rede und Antwort zu stehen.«
    Der Papst brummte verächtlich. »Also dann«, sagte er. »Berichtet Uns, was mit Pozzi geschehen ist.«
    Carafa erzählte dem Papst von Pozzis nächtlichem Besuch vor seinem Palazzo, von den in Pozzis Haus gefundenen Knabenleichen und von der Hinrichtung. Er schmückte seinen Bericht mit blumigen Worten und Lobpreisungen des Heiligen Vaters. »Pozzi stellte eine Gefahr für Leib und Leben Eurer Heiligkeit dar«, schloss er. »Darum haben Castagna und ich den Befehl gegeben, ihn auf der Stelle zu richten, um größeren Schaden zu verhindern.«
    »Es wäre Zeit genug gewesen«, sagte der Papst, »Uns über die Vorkommnisse zu unterrichten. Allein Wir sprechen das Urteil über Leben oder Tod eines Kardinals. Und nach allem, was Wir wissen, gehört der Heilige Stuhl nicht Euch, Carafa!«
    »Euer Heiligkeit«, sagte Carafa mit sanfter, unterwürfiger Stimme, »Ihr selbst habt die Liebe unter Männern unter Todesstrafe gestellt. Wäre Euer gnädiges Urteil ein anderes gewesen als das meinige?«
    Der Papst stand auf. »Was fällt Euch ein, Uns einem Verhör zu unterziehen?«, donnerte er. »Welche Urteile Wir fällen oder nicht, obliegt nicht Euren persönlichen Auffassungen. Würde ich jeden Mann, der Männer liebt, hinrichten lassen, wären die Kurienversammlungen so verlassen wie der Circus Maximus.« Er atmete schwer und setzte sich wieder. »Ihr habt da etwas von einer Gefahr für Unser Leben gesagt, die von Pozzi ausging. Habt Ihr Beweise für Eure

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