Die Tochter des Ketzers
würde, über ihre Freilassung nachzudenken, wenn auch noch nicht auf Malta.
Doch von all dem kein Wort. Verschlossen wie eh und je, mit toten Augen und starrer Haltung, gebot er ihr, sich zu setzen und mit der Buchhaltung fortzufahren. Sie fügte sich darein, begann schweigend zu schreiben, doch als er eine lange Pause machte, in Gedanken versunken zu sein schien, blickte sie hoch und musterte sein verschlossenes Gesicht, suchte es zu deuten.
Anfangs dachte sie, dass sie das Unbehagen dazu trieb, ein stetes Auf-der-Hut-Sein, weil man nie wissen konnte, was von ihm zu erwarten stand; vielleicht auch Sorge, was er mit ihnen plante. Doch als ihm ein Laut entfuhr, ein missglücktes Räuspern, mehr nach einem Seufzen klingend, so merkte sie, dass sie kaum Unbehagen verspürte – jedoch Neugierde.
Keine große, gierige. Nichts, was sie zu einer Frage getrieben hätte. Nur ein vorsichtiges Verlangen, hinter den toten Augen ein wenig Leben zu erhaschen. Dass ihr eigener Blick womöglich ähnlich dumpf war wie der seine, wollte sie gewiss nicht ergründen, desgleichen nicht die eigene Starre und Nüchternheit, beides viel zu wohltuend, viel zu willkommen. Aber sie wünschte insgeheim, zumindest seine Ausdruckslosigkeit brüchig werden zu sehen, zu erfahren, was geschah, wenn eine geschundene Seele nach frischem Atem ringt.
Die Pause schien endlos. Schließlich winkte er unwillig, ohne dass sie es zu deuten wusste: Wollte er damit seine Gedanken klären? Oder sie fortschicken?
»Ich dachte, du willst das Lesen lernen«, setzte sie vorsichtig an. »Damit du selbst deiner Mutter schreiben kannst. Damit du die Worte, die du an sie richtest, nicht mir anvertrauen musst.«
Er blickte auf, als begriffe er erst jetzt, dass sie da war – jedoch nicht, was sie meinte.
»Bevor ... bevor dieser Mann verletzt wurde, haben wir darü- ber gesprochen«, fuhr sie vorsichtig fort. »Du hast über deine Mutter erzählt und dass du ...«
»Das geht dich nichts an!«, fiel er ihr barsch ins Wort.
Sie zuckte zusammen, doch die Furcht, die seine laute Stimme erzeugte, war nichts, verglichen mit all der Angst der letzten Wochen. Sie wusste nicht, woher sie die Gewissheit nahm, dass er nicht sogleich aufspringen, auf sie einschlagen oder ihr sonstwie Gewalt antun würde – in jedem Falle war diese Gewissheit da.
Er tut mir nichts, dachte sie, er tut mir nichts, ich bin nicht wichtig genug für ihn, um ihn ernsthaft zu verärgern.
»So ist es, es geht mich nichts an«, sagte sie schnell. »Aber willst du nun, dass ich dir das Schreiben beibringe? Oder willst du mir einen Brief diktieren?«
»Weißt du, was man in Pisa mit Verrätern am Vaterland macht?«, fragte er unvermittelt zurück.
Er stand auf, trat zu ihr hin. Verwirrt begriff sie nicht, was er da sagte und warum er es zu ihr sagte.
»Weißt du es?«
Er schrie nicht, aber es klang nicht minder bedrohlich.
»Nein, ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich nach langem Zögern. Immer noch fühlte sie keine Furcht, war jedoch erschöpft von all den Überlegungen, ob ihr jeweiliges Verhalten seinen Launen angemessen war. Wie erstarrt hatte er sie stets gedeucht – doch nun gewahrte sie, dass hinter dieser Starre seine Stimmungen rasch wechselten, so auch jetzt, als sein eben noch aufgewühltes Gesicht sich schlagartig wieder glättete. Wie hatte ein Mann, ging ihr durch den Kopf, dessen Verhalten derart schwankte, einem König Zuverlässigkeit garantieren können?
Freilich – König Pere war es gewiss gleich, was hinter der leicht gerunzelten Stirn schlummern mochte. Vor jenem hatte Gaspare wohl nichts weiter zu sein als einer der namenlosen, mutigen, unbarmherzigen, kampfbereiten Krieger, getrieben von Rache, abgehärtet gegen die Tücken des Lebens, brauchbar für den Kampf.
»Urteile gegen Volksverräter werden oft vom Volk selbst vollstreckt«, erzählte er unvermittelt. »Je nachdem, wie viele Verurteilte es gibt, werden Gruppen gebildet und die Übeltäter auf sie aufgeteilt. Und dann erschlägt man sie, mit Fäusten, mit Stöcken, mit Steinen. Manche werden auch zertrampelt. Und die Häuser der Verurteilten werden schwarz angestrichen, als Zeichen für ihren Verrat. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal, als kleines Kind, an einem solchen Haus vorbeigegangen bin. Ich hatte unendliche Angst. Ich dachte, der Teufel selbst würde hier wohnen. Damals kannte ich meinen Stiefvater noch nicht.«
Er schwieg einen Augenblick. »Ich glaube, in Genua verfährt man nicht
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