Die Tochter des Ketzers
gegen Gaspares Rücken.
»Ray!«, rief Caterina streng.
»Was ist?«, gab Ray gereizt zurück. »Er hat uns doch in diese verdammte Lage gebracht.«
Caterina sagte nichts mehr, hob nur mahnend die Brauen. Ray ließ seine geballte Faust sinken, aber der Ärger schwand nicht aus seinem Gesicht. Wiewohl nicht länger auf engem Raum gefangen, begann er wieder unruhig auf und ab zu schreiten und hinterließ dabei tiefe Spuren im Sand.
Caterina lehnte sich an einen der schroffen Felsen, schloss die Augen, versuchte wieder zu schlafen. Sie hatte nicht den Eindruck, dass es ihr gelang, denn die Schmerzen in ihrem Bein ließen nicht nach, sondern pochten unaufhörlich. Sie fror nicht länger, aber das Beben, das von tief drinnen kam, hörte nicht auf. So stark war es, dass sie stets aufs Neue aufschreckte, vermeinte, sie würde noch auf dem Wasser schaukeln, anstatt auf Sand zu liegen. Doch obwohl sie keine echte Ruhe fand, musste sie zwischenzeitig eingenickt sein. Als sie wieder einmal die Augen aufriss, sich vergewissern wollte, dass sie in Sicherheit war und nicht mehr auf hoher See, war es stockdunkel geworden. Sie versuchte aufzustehen, doch der verletzte Fuß war nicht stark genug, um sie zu tragen. Ächzend fiel sie zurück, erstaunt, dass der raue Fels, an den sie gelehnt war, plötzlich so weich war.
Dann erst gewahrte sie, dass es Ray war, der – alter Gewohnheit folgend – zu ihr gekrochen war, um an ihrer Seite zu schlafen. Sie sah sich um, ob auch Gaspare in der Nähe lag, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Offenbar hatte sich jener einen etwas entfernteren Schlafplatz gesucht, nicht sonderlich daran interessiert, ob sie eine bequeme Bettstatt fand und wer ihr diese womöglich bot. Sie war zu müde, um darüber nachzudenken – aber irgendwie war sie erleichtert, dass sie Gaspares steifen Körper nicht in unmittelbarer Nähe wusste. Aufseufzend ließ sie sich auf Rays weiche Brust sinken, schloss wieder die Augen, und diesmal war es leichter, den Schlaf heraufzubeschwören, auch wenn er nicht namenlos tief war, sondern Träume heraufbeschwor, vom brechenden Schiff, von der tiefen See, von Gaspare und wie jener vom erwachsenen Mann zum Kind schrumpfte und unter seiner Mutter begraben lag. Diese war in Caterinas Träumen nicht einfach nur fett wie in seinen Erzählungen, sondern ein einziger Koloss, eigentlich nur aus Fleisch bestehend, nicht aus einzelnen Gliedern. Caterina wurde es enger um die Brust, sie vermeinte zu ersticken, fuhr auf. In ihrem Mund schmeckte es salzig, als hätte sie noch einen weiteren Schwall Meerwasser abbekommen – oder war es Schweiß? Von ihrer Angst oder von Fieber? Sie tastete mit der Zunge die trockenen Lippen ab, und noch halb im Schlaf gefangen, fiel ihr ein, dass Ray sie geküsst hatte, ehe das Schiff angegriffen worden und gesunken war.
Verwirrt blieb sie liegen, erwartete schlaflos das Morgen- grauen – und fühlte, als es die Nacht zurückdrängte, einen Druck auf ihrem Magen. Zuerst dachte sie, dass Rays Hand dorthin gerutscht sein müsse, um nun schwer auf ihrem Leib zu liegen, doch als sie sich aufrichtete, genauer hinsah, gewahrte sie ein Bündel.
»Mein Gott!«, stieß sie aus. Sie griff danach, öffnete es. Es war tatsächlich die Reliquie, das kleine goldene Kästchen, das fast gänzlich heil geblieben zu sein schien, nur einen der Rubine verloren hatte. Die Glasscheibe, hinter der sich die Cedula befand, war eingedrückt und die Beschriftung darum unleserlich.
Einen Augenblick dachte sie, dass dies nichts anderes als ein Wunder sein könnte, gewiss bewirkt von der Heiligen Julia von Korsika, die nicht zulassen wollte, dass ihr Vermächtnis in den Tiefen des Meeres verschollen wäre. Doch dann fiel ihr ein, dass es Ray gewesen sein musste, dem es irgendwie gelungen war, ihren Schatz zu bewahren, den sie schon verloren glaubte.
»Hast du das Kästchen ...«, setzte Caterina an. Sie drehte sich um, doch Ray lag nicht mehr an ihrer Seite. Bereits ausgekühlt war sein Platz. Ächzend erhob sie sich, was ihr erneut einen stechenden Schmerz in ihrem Bein einbrachte, doch anders als gestern konnte sie wieder halbwegs gerade darauf stehen.
»Ray!«, rief sie. Sie erblickte ihn nicht, weder hinter einem der anderen Steine noch irgendwo am Strand. Immer noch hockte Dunst über dem Meer, doch er war nicht stark genug, um den Blick zu verschleiern.
»Ray!«, rief sie wieder.
Ihr Rufen weckte Gaspare. Als er an ihre Seite trat, fiel ihr auf, dass das schwarze Tuch,
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