Die Tochter des Ketzers
deuten, sondern sie obendrein mit kleinen, spitzen Steinen zu bewerfen.
»He!«, schimpfte Caterina.
Ray schüttelte die Steine einfach ab und ließ sich nicht davon beirren.
»Lacht ihr nicht auch über einen Pèire Cardenal?«, rief er. »Von dem habe ich übrigens folgende Geschichte: Gibt’s doch tatsächlichen einen Pfaffen, der hinter jedem Rock her ist und sogar in der Weihnachtsnacht hurt. Sagt man ihm: Weh, Sünder! Schlimmer ist’s, wenn eine Frau mit einem Priester sich vereinigt als mit vier Männern. Sagt er: Aber für mich ist’s eine geringere Sünde, mit einer Frau nur Liebe zu machen als mit deren vier!«
Es war dies kein Lied, was er vorbrachte, jedoch alles in einem Singsang gehalten.
Caterina starrte ihn mit aufgerissenem Mund an. Gift!, ging es ihr durch den Kopf. Es ist Gift, was er in meine Ohren träufelt ...
»Was ist?«, grinste er in ihre Richtung. »Habe ich dich erschreckt? Nun, offenbar habe ich heute mit dem Singen kein Glück. Mittag ist’s, und noch habe ich keinen Sous verdient, nicht mal einen Denar. So muss ich eben was anderes versuchen.«
Sprach’s und begann prompt mit fünf Messern zu jonglieren.
»Bist du wahnsinnig?«, entfuhr es ihr.
»Ach wo! Ich tu mir schon nicht weh! Einmal habe ich mir fast einen Finger abgeschnitten, aber jetzt fange ich sie sicher an den Griffen.«
Caterina konnte kaum hinschauen; die verlumpten Kinder hingegen starrten nun mit offenen Mündern und vergaßen, Steine auf sie zu werfen.
Irgendwann verlor Ray die Lust daran, ließ die Messer zu Boden sausen, bückte sich und stand blitzschnell wieder auf, allerdings auf den Händen, auf denen er ein paar Schritte ging.
Gebannt schaute der Zimmermann ihm nunmehr zu – und auf den Marktplatz strömten jetzt auch ein paar der Alten, die ansonsten vor den Hauseingängen ihren Tag verhockten.
»Wie wär’s mit einem Spiel?«, lud Ray sie ein und hatte alsbald einen Würfel, aus Knochen gemacht, in der Hand, sowie drei Becher. Unter einem wurde der Würfel versteckt und die Becher danach so schnell von ihm verschoben, dass es schwer zu erraten war, wo sich der Würfel am Ende befand. Ray lud die Menschen ein, darauf zu wetten, ihn zu besiegen, und nachdem der Erste sich darauf eingelassen hatte, folgten ihm weitere.
»Siehst du!«, prahlte er eine Stunde später in Caterinas Richtung. »Bald habe ich einen Sous beisammen. Heute müssen wir nicht im Freien schlafen, und einen Festschmaus gibt es obendrein.«
Sie hatte längst davon abgesehen, mahnend den Kopf zu schütteln, saß nun auf die Knie gesunken, als könnte sie sich so dagegen wehren, was Ray da trieb. Sie konnte es nicht in Worte fassen.
Das Würfelspiel war wohl die schlimmste Sünde von allen, galt es doch als Zeitvertreib des Teufels, und ein Betrug war es obendrein. Freilich: All die Männer, die sich darauf einließen, wussten um die Möglichkeit zu verlieren. Ray belog sie nicht, was seine Absichten – nämlich zu gewinnen – anbelangte, er machte ihnen nichts vor ... er brachte es nur irgendwie fertig, zu Geld zu kommen, ohne eine redliche Arbeit zu tun, und war das nicht eine Form von Betrug?
»Was ist«, drängte er schließlich, »hast du keinen Hunger? Ich in jedem Fall! Hörst du, wie mein Magen knurrt? Dann will ich uns also etwas zu essen kaufen.«
Mit fuchtelnden Händen erklärte er das Würfelspiel als beendet, stand auf und schüttelte wieder all seine Glieder.
Dass er vom Kaufen redete, beruhigte Caterina. Zumindest hat er nicht vor, etwas zu stehlen, dachte sie erleichtert.
Starr blieb sie beim Holzwagen stehen, während er in Richtung des Marktplatzes verschwand, schüttelte wieder den Kopf, diesmal, um ihre Gedanken zu ordnen.
Wein, Zechprellerei, Glücksspiel, Gesang.
Nichts von dem würde vor den strengen Augen ihres Vaters Gefallen finden. Doch anstatt sich dessen verächtlichen Blick zu vergegenwärtigen, hatte sie plötzlich jenes Bild im Sinn, wie sein Kopf nach hinten gekippt war und er reglos vor ihr gelegen hatte, ehe die brennenden Balken ihn unter sich begraben hatten.
Pèire würde kein Urteil über Ray mehr fällen können, sie selbst musste es tun.
»O Vater im Himmel«, begann sie unwillkürlich zu beten, »sei mir armen Sünderin gnädig und ...«
Ihre Worte erstarben in lautem Gegackere. Es klang ein wenig wie Rays Gelächter, nur stammte es diesmal nicht aus seinem Mund, sondern von einem leibhaftigen Huhn, das er ihr in den Schoß geworfen hatte. Wiewohl an seinen Füßen
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