Die Tochter des Ketzers
gebunden, vermochte es mit den Flügeln zu schlagen und suchte Caterina zu entkommen.
Erschrocken schrie sie auf, sprang hoch und störte sich nicht daran, dass das Vieh deswegen zu Boden ging und dort verzweifelt im Kreise hopste.
»Na los!«, forderte Ray ungeduldig. »Bist doch ein Mädchen! Hast du nicht gelernt, wie man solche Tiere tötet, rupft und brät?«
Unscharf erinnerte sich Caterina daran, wie Lorda der Mutter in den Ohren gelegen hatte. Die Küche sollte sie kennenlernen, die Getreidekammer, das Waschhaus – und natürlich auch den Stall, auf dass sie wisse, womit man die Tiere füttere. Doch Lordas Worte hatten – wie so oft – keine Folgen gezeitigt.
»Verlang das nicht!«, schrie Caterina plötzlich, um nicht nur diesen Wunsch, sondern die ganze Zumutung seines Lebenswandels von sich zu weisen. »Ich schlacht dir ganz gewiss kein Huhn!«
Sie erbleichte, kaum dass sie es gesagt hatte. Ein Weib hatte niemals seine Stimme zu erheben, vor allem nicht gegen einen Mann, auch wenn jener ein Lump war.
Verlegen senkte Caterina den Kopf. Auch Ray schwieg nun – und genau genommen auch all die anderen Menschen am Marktplatz, die sich noch nicht wieder verstreut hatten. Alle hatten sie Caterinas Worte gehört; und alle waren sie stehen geblieben.
Unbehaglich blickte Caterina hoch, verstand weder die gaffenden Blicke noch Rays bleiches Gesicht. Kein Spott stand mehr darauf geschrieben, und es folgte auch nicht eine seiner wendigen, halb hüpfenden Bewegungen. Er packte sie am Arm, dass sie vor Schmerzen aufschrie.
»Sag, hast du den Verstand verloren, Mädchen?«, herrschte er sie an.
Irgendwie musste es ihm gelungen sein, sie mitsamt Huhn und Wagen vom Marktplatz zu bringen. Sie verstand kaum die Worte, mit denen er die Gaffer einlullte. Nicht nur neugierig waren deren Blicke, sondern einige offen feindselig, und es war Caterina unmöglich zu begreifen, warum ihre Weigerung, ein Huhn zu schlachten, derartiges Misstrauen erzeugte.
Der Griff, mit dem Ray sie fortführte, war ihr dennoch nicht unangenehm. Dass er nicht nur ein Spötter und Spieler war, sondern beizeiten ein strenger Mann, deuchte sie wohltuend und vertraut, und sie fügte sich ohne Widerstand.
»Hört nicht auf meine dumme Base!«, rief er zuletzt in die Runde. »Ein dummes Mägdelein ist’s, das ich mir erst erziehen muss.«
»Hoho!«, grölte einer, immerhin nicht länger feindselig gesinnt. »Das kann ich mir schon denken, wie du dir ein Mädchen erziehst, Ray!«
»Und ehe sie sich’s versieht, bringt deine Erziehung Lohn, und sie trägt einen Bastard im Bauch!«, keifte eine der Frauen.
»Ach wo! « Das altbekannte Grinsen erschien wieder auf Rays Gesicht, jedoch flüchtiger als sonst; es erreichte nicht seine Augen. »Ach wo! Ich bin doch selbst ein Bastard. Da seh ich mich schon vor, die Welt nicht mit weiteren zu bevölkern.«
Sie hatten das Ende des Platzes erreicht, und gleichwohl sie immer noch von allen Seiten angestarrt wurden, trat ihnen niemand in den Weg. Mit einem erleichterten Seufzen ließ Ray Caterina endlich los, auf dass sie ihm hülfe, den Wagen zu schieben. Kein klärendes Wort sagte er dabei – nur seine schweißbe- deckte Stirn zeugte von dem Schrecken, den er gerade durchgestanden hatte.
»Was ... was habe ich denn getan?«, stotterte Caterina schließlich, die kaum fassen konnte, dass sie es war, die offenbar gegen ein Verbot verstoßen hatte.
Lange sagte er nichts. Dann packte er plötzlich das Huhn, als könnte er all seine Furcht und sein Unbehagen mit einer raschen, kraftvollen Bewegung tilgen, und indessen es noch ein letztes Mal aufgackerte, hatte er ihm schon den Hals umgedreht.
»Hör mir jetzt gut zu, Caterina«, murmelte er schließlich, und seine Stimme klang ernst und heiser. »Menschen, die heimatlos sind wie ich, die ohne Behausung herumziehen und von Dorf zu Dorf wandern, werden von den Leuten gern gesehen, weil sie Abwechslung, Unterhaltung und Spaß bringen. Aber das bedeutet nicht, dass nicht manche die Augen misstrauisch zusammenkneifen und sich denken: ›Wer ist denn dieser Ray? Und wer dieses ernste, starr blickende Mädchen, das ständig den Kopf schüttelt und den Mund nicht aufkriegt?‹«
Er zuckte mit den Schultern. »Die Inquisitoren haben in diesem Land nicht mehr so viel zu tun. Sie haben die Ketzerei fast an allen Ecken und Enden ausgemerzt, König Louis war sogar bereit, sich mit dem hiesigen Adel zu versöhnen, auf dass jener ihn zum Kreuzzug ins Heilige Land
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