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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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wir weiter vorgehen«, sagte Rhodri nach einer langen Pause. Alle hatten die Augen auf den dunklen Spalt gerichtet, in dem Jess verschwunden war. »Ich überlege gerade, ob Jim Macrae bereit wäre, festzustellen, ob sie alt sind oder nicht.«
    »Doktor Macrae?« Entgeistert sah Steph ihn an. »Ihm darfst du das bestimmt nicht sagen. Er müsste die Polizei verständigen. Ich bin mir sicher, dass er Tote melden muss, ganz egal, wie alt sie sind. Wenn ich mich recht erinnere, hat jemand mir mal erzählt, dass man einen Arzt rufen
muss, der bestätigt, dass jemand wirklich tot ist, selbst wenn der- oder diejenige ein Skelett ist! Muss man dann nicht auch einen Gerichtsmediziner einschalten? Jess wäre außer sich! Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das müssen wir uns wirklich ganz genau überlegen. Wir sind hierhergeführt worden. Das Kind hat uns gerufen.«
    Rhodri war zu den Steinen hinübergegangen. Jetzt ging er in die Hocke und spähte hinein. »Ist alles in Ordnung?«, rief er leise.
    Innen kauerte Jess neben dem kleinen Skelett. Sie hatte die Blumen danebengelegt und die winzigen Fingerknochen für einen Moment sanft berührt. »Es tut mir so leid, dass niemand gekommen ist«, flüsterte sie. »Eigon hat es wirklich versucht. Sie hat alles getan, um euch zu finden. Das haben alle. Bist du vor lauter Angst hier hineingekrochen? Ach, mein Herz, es tut mir so leid.« Tränen strömten ihr über die Wangen. »Deine Mutter hat es nie verwunden, dass sie dich verloren hatte. Du hast ihr so gefehlt. Hast du sie in Tir n’an Og gefunden? Das hat sie sich so gewünscht.« Sie schloss die Augen. »So weit weg sie auch sein mochte, sie hat nie aufgehört, dich zu lieben.«
    Welches Kind es wohl war? Das würde sie gern wissen. Die Knochen waren so klein. Vorsichtig hob sie einen auf. Er war federleicht und sehr zerbrechlich. Ehrfürchtig legte sie ihn zurück. Sie küsste ihre Fingerspitze und legte sie eine Sekunde auf die Stirn des kleinen Schädels, dann kroch sie wieder in die Sonne hinaus.
    Die anderen beobachteten sie schweigend, einen Moment rührte sich niemand. Dann legte Rhodri einen Arm um sie. »Alles in Ordnung?«
    Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und nickte. Einen Moment hielt sie sich an ihm fest, spürte seine Kraft und nahm den männlichen Geruch seines Hemdes wahr.
Am liebsten wäre sie einfach so in der Sicherheit seiner Arme stehen geblieben. Aber sie löste sich widerwillig von ihm und grinste schief.
    »Entschuldigung. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.« Sie holte tief Luft und versuchte, sich ein wenig zu fassen. »Die Knochen sind eindeutig sehr alt, ganz leicht und porös. Das sind bestimmt keine heutigen.«
    »Und was meinst du, was wir tun sollen?«, fragte Steph unsicher.
    Einen Moment schwieg Jess. Sie war ein Bild des Jammers. Sie ließ die Arme hilflos herabhängen, ihr Gesicht war bekümmert und erschöpft. »Sollen wir sie erst einmal dort belassen?«, schlug sie schließlich vor. »Wenn wir jemandem Bescheid sagen, werden die Knochen entfernt.«
    »Das haben wir uns auch gedacht.« Rhodri warf einen Blick zu Steph. »Du hast Recht. Sie gehören nicht ins Museum. Ich glaube, das wäre völlig falsch.«
    »Vielleicht könntest du deine Freundin fragen? Eigon, meine ich«, sagte Steph. »Redet sie so mit dir? Wird sie wissen, was passiert ist?«
    Jess zuckte mit den Schultern. »Ich kann’s versuchen.«
    »Gehen wir doch nach Hause«, sagte Aurelia schließlich. »Das Kind hat so lange hier gelegen, da macht eine Nacht mehr auch nichts aus. Wenn seine Seele durch den Wald hier geistert, dann weiß es jetzt, dass wir es gefunden haben und dass du ihm Blumen gebracht hast, Jess. Und morgen entscheiden wir, was wir weiter tun.«
     
    Jess erwachte aus einem merkwürdigen Traum. Im Dunkeln sah sie sich um. Sie hatten den Rest des Tages gemeinsam verbracht und zu viert in der Küche zu Abend gegessen, bis Rhodri kurz vor Mitternacht schließlich nach Cwm-nant zurückgefahren war. Beschlossen hatten sie lediglich, dass
die Knochen nicht in einem Museum ausgestellt werden sollten. Als Jess zu Bett gegangen war, hatte sie ruhig dagelegen und leise zu Eigon gesprochen, aber sie hatte keine Antwort bekommen. Und als sie schließlich einschlief, träumte sie von William. Er stand hinter der Tür in seiner Wohnung und rief immer wieder nach ihr. »Jess, die Politesse ist weg. Du kannst jetzt reinkommen.« Als sie aufwachte, war sie völlig aufgelöst. Sie schlich nach unten, um

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