Die Tochter des Königs
hatte, doch das Reiten verlernt man nicht. Mühelos saß sie in den römischen Sattel auf, und im Handumdrehen ging ihr schlechtes Gewissen, weil sie sich ihrer Mutter widersetzte, in aufgeregte Freude über. Sie merkte gar nicht, dass sie fast sofort ausgeschlossen war, weil Flavius und Julia sich ausschließlich miteinander beschäftigten. Es gab viel zu viel zu sehen. Der Weg durch den Wald ging in eine gepflasterte Straße über, die schnurgerade den Berg hinab zu den Stadttoren führte. Es herrschte reger Verkehr mit Wagen und Reitern, Karren voller Gartenerzeugnisse, Reisenden zu Fuß und ein- oder zweimal einer Sänfte, die von Sklaven vorbeigetragen wurde und deren Vorhänge zum Schutz vor dem Staub geschlossen waren. Sie stellten ihre Pferde bei einem Gasthof kurz hinter der Stadtmauer unter, um von dort zu Fuß zum Markt zu gehen.
Kichernd nahm Julia ihre Freundin an der Hand. »Ist es nicht spannend? Schau doch nur. Hast du Geld dabei?«
Eigon schüttelte den Kopf. Sie besaß kein Geld.
»Macht nichts. Ich borge dir welches. Komm, ganz in der Nähe ist ein Goldschmied, zu dem meine Tante immer geht. Er fertigt wunderschöne Sachen.«
In den engen Straßen war es wegen der hohen Gebäude, die sie säumten und von denen alle Geräusche widerhallten, ohrenbetäubend laut, die Schreie der Händler, das Echo Tausender Gespräche, die lautstark und unter viel Gelächter geführt wurden, dazu bellende Hunde, das Rumpeln der Karren, die über die Pflastersteine geschoben wurden. Eigon klammerte sich fester an Julias Hand. Es war überwältigend. Und die Gerüche auch, die guten wie die schlechten. Sie empfand es als Erleichterung, als sie in der Straße der Juweliere und Goldschmiede in ein Tor traten, das in einen kleinen Innenhof führte. Die Sklaven Demitrius und Volpius setzten sich auf eine Bank, während Flavius die Mädchen durch eine Tür geleitete, hinter der der Goldschmied seinem Handwerk nachging. Als sie eintraten, schaute er auf und erkannte Julia offenbar sofort. »Und ist die Herrin Pomponia Graecina bei dir, Kind?«
Julia schüttelte den Kopf. Die Kapuze ihres Umhangs fiel herab, so dass ihre schwarzen, von einem leuchtend roten Band zusammengehaltenen Locken zum Vorschein kamen. »Ich habe meine Freundin Eigon mitgebracht. Ich möchte, dass sie sich etwas Hübsches aussucht. Wir schreiben es auf die Rechnung meiner Tante.«
Der Goldschmied musterte ihr Gesicht. Er war ein kleiner, stämmiger Mann mittleren Alters mit vielen tiefen Falten und munteren braunen Augen, die die unschuldige Miene des Mädchens sofort erfassten. »Und weiß die Herrin Pomponia Graecina von dem Geschenk, das sie dieser jungen Dame macht?«
Julia bemühte sich, gleichmütig dreinzuschauen, und scheiterte kläglich. »Nein, nicht so ganz. Aber sie wird nichts dagegen haben.«
»Und woher soll ich wissen, dass sie nichts dagegen hat?«
»O bitte«, warf Eigon peinlich berührt ein. »Ich will nichts haben. Ich möchte mir die Dinge nur ansehen.« Ihr Blick war bereits zu dem Tablett mit Broschen und Ringen gewandert, das in ihrer Nähe auf einem Tisch stand. Hinter der Theke, die den Raum teilte, arbeitete der Gehilfe des Goldschmieds mit einer Vielzahl Hammer, Dorne und Meißel und war so in seiner Tätigkeit vertieft, dass er gar nicht aufschaute. Auf der Werkbank um ihn her lagen kleine Schmelztiegel, Zangen und Stücke von Silberdraht.
Der Goldschmied lächelte seine Kundinnen an und schaute dann zu Flavius, der unschlüssig in der Tür stand. »Und dieser junge Mann kommt wieder als dein Begleiter. Und, junger Herr, hast du genug gespart, um deiner jungen Dame ein Geschenk zu kaufen?«
Flavius lief tiefrot an. »Noch nicht, Herr«, brummelte er. Verlegen drehte er sich um und schaute in den Hof. Demitrius und Volpius saßen an einem Tisch, auf dem zur Unterhaltung der Wartenden ein Duodecim-Scripta-Brett mit Steinen stand. Wenn Gemahle und Liebhaber bei diesem Spiel Zerstreuung fanden, drängte es sie weniger, ihre Damen von den Kostbarkeiten in der Werkstatt fortzuführen. Flavius setzte sich zu den beiden und hatte die Mädchen im nächsten Moment völlig vergessen.
Eigon schaute zu Julia, der Flaviusʹ Unbehagen offenbar völlig gleichgültig war. »Es ist nicht recht von dir, so deinen Spott mit ihm zu treiben«, flüsterte sie. »Du solltest ihn nicht herbringen.« Sie empfand die Verlegenheit des Jungen als körperlichen Schmerz. Dann warf sie dem Goldschmied ein entschuldigendes Lächeln zu. »Es
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