Die Tochter des Königs
beiden Sklaven ihre Keulen vom Gürtel rissen.
»Idiot!«, rief Flavius dem Mann nach. Dann wandte er sich besorgt wieder zu Julia. »Ist alles in Ordnung?« Julia nickte erschüttert.
Eigon starrte dem Mann nach, der in der Menschenmenge untergetaucht und außer Sicht verschwunden war. Es war so schnell passiert, er hatte sich ihnen ganz einfach so genähert. Jetzt hatten sie drei Männer zu ihrem Schutz dabei und waren doch völlig hilflos gewesen. Beim Weitergehen legte sie ihre Hand in Julias. »Hast du Angst?«, fragte sie leise. Prüfend schaute sie die Passanten an.
Julia schüttelte den Kopf. »Es ist nichts passiert. Er war kein Dieb. Oder wenn, dann ist er vor jemand anderem davongelaufen.« Sie hüllte sich fester in ihre Stola. »So etwas kann passieren.«
»Wirklich?« Beklommen schaute Eigon in die Menschenmenge. In der Ferne marschierte ein Trupp Soldaten im Gleichschritt vom Stadtzentrum fort zu einer der Kasernen in den Außenbezirken. Die Männer bogen vom Marktplatz ab und verschwanden in einer der engen Straßen außer Sichtweite. Auch nachdem sie verschwunden waren, hallte der
Rhythmus ihrer genagelten Sandalen auf den Pflastersteinen noch lange über den Platz.
»Er hat dich nicht gesehen. Er hat dich ganz bestimmt nicht gesehen.« Jess sprach im Schlaf. Sie knetete das dünne Laken, während sie im Traum die fünf Berittenen vor der Villa ankommen sah. Die Mädchen glitten aus dem Sattel und liefen mit Flavius in den äußeren Hof, die Sklaven führten die Pferde davon. »Geh nicht wieder raus, es ist zu gefährlich!«
Lange Schatten fielen über die Pflastersteine, rund um die Villa roch es nach der mächtigen Pinie draußen auf der Straße, deren Schatten über den Hof geworfen wurde. Niemand war da, um zu sehen, wie die Mädchen ins Haus schlichen und in ihre Zimmer liefen, um den Staub von der Stadt abzuwaschen. Im Haus herrschte absolute Stille. Eigon schlüpfte in ein frisches Gewand, bürstete sich das Haar und band es zurück, dann ging sie wieder hinaus auf die Suche nach ihren Eltern. Ihr Vater schlummerte auf einer Liege im Schatten des Feigenbaums beim Brunnen, ihre Mutter saß in der Nähe an der Spindel.
»Mama?«, flüsterte Eigon.
Cerys sah auf. »Wo bist du gewesen?«
Eigon machte eine ausweichende Geste. »Ich bin im Obstgarten eingeschlafen. Hier unten ist es so heiß.« Sie errötete wegen ihrer Lüge, aber ihre Mutter bemerkte nichts, es kam ihr gar nicht in den Sinn, die Antwort anzuzweifeln. Dann schaute sie zu ihrem Gemahl. »Dein Vater hat den Großteil des Tags geschlafen.« Ihr Gesicht war von Sorge zerfurcht.
»Was hat Melinus gesagt?«
»Er probiert eine neue Medizin aus. Um das Fieber zu senken. Er grämt sich, weil er hier nicht die richtigen Kräuter
bekommen kann. Er sagt, er brauche etwas, das nur zu Hause in den Bergen wächst.«
Eigon biss sich auf die Unterlippe. Ihre Mutter sprach praktisch nie von ihrem alten Leben. Es war, als hätte sie das alles aus ihrem Gedächtnis verbannt. »Hat er den Arzt gefragt, der sich um Aelius’ Familie kümmert? Flavius spricht nur das Beste von ihm. Sein Vater lässt ihn kommen, sobald jemand krank wird.« Sie verschwieg, dass Flavius Melinus für einen furchteinflößenden Zauberer hielt.
Cerys sah betrübt aus. »Er sagt mir nur, ich solle am Altar Febris ein Opfer darbringen.«
»Kannst du nicht an eine römische Göttin glauben?« Eigon lächelte. Dann ging sie zu ihrem Vater, setzte sich an den Rand der Liege und ergriff seine Hand. Der kraftvolle Krieger war nur noch ein Schatten seiner selbst, die Narben auf seiner Schulter und am Hals hoben sich als rote Wülste von seiner weißen Haut ab. Kraftlos öffnete er die Augen und lächelte seine Tochter an.
»Sie betet zu jeder Göttin der Heilkunst, die es nur gibt«, sagte er liebevoll. Seine Stimme war belegt. »Aber ich fürchte, unsere Götter hören uns hier aus der Ferne nicht. Ich brauche eine Druidin, die die Fähigkeiten Gruochs hat, sie versorgte meine Wunden, als ich bei Cartimandua zu Gast war.« Seine Stimme wurde bitter. »Sie besaß das Geschick der Göttin. Melinus ist gut, aber ihm fehlt die Hand des geborenen Heilers. Und wie deine Mutter schon sagte, er kann in diesem Klima nicht die richtigen Heilmittel finden.« Er streckte sich und ächzte vor Schmerzen.
»Armer Papa.« Eigon gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Er lächelte. »Aber du hast diese angeborene Fähigkeit, meine Tochter. Bitte Melinus, dass er dich sein Wissen
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