Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
Unbehagen, obwohl sie noch
nie einen Hakul gesehen hatte. Eigentlich wollte sie das auch nicht ändern. Die Hakul waren Feinde, sie waren gefährlich, feige und falsch. Es war besser, man ging ihnen aus dem Weg.
»Hör auf zu träumen, Kröte, ich habe einen Auftrag für dich«, riss Tasil sie aus ihren Gedankengängen. Er flüsterte.
Sie spürte ein Kribbeln im Nacken. Ein Zeichen für Gefahr. Oder eine Erinnerung an das schwarze Getier. Sie musste sich unwillkürlich kratzen. »Was soll ich tun, Onkel?«
»Hier, nimm das und schaff es unauffällig aus der Halle. Versteck es irgendwo, aber so, dass du es nachher wiederfindest. Und lass dich nicht erwischen!«
Er gab ihr einen in Stoff gewickelten Gegenstand. Er war flach, schmal und schwer. Als sie ihn befühlte, wusste sie, was es war. Es war sein Dolch, seine Hakul-Klinge. Sie stellte keine Fragen – er hätte sie ohnehin nicht beantwortet -, sondern ließ die Waffe sofort unter ihrem kurzen Kleid verschwinden. Als sie den Saal verließ, war sie wieder einmal froh, dass all die hohen Herren nicht auf ein einfaches Mädchen achteten. Aber was hatte das nun wieder zu bedeuten? Beim Handel mit Atib hatte Tasil gesagt, die Dolche seien ein Geschenk der Hakul gewesen. Sie runzelte die Stirn. Eigentlich hatte er das gar nicht gesagt. Fakyn hatte sich noch darüber gewundert, dass er gleich fünf Dolche hatte, aber niemand hatte genauer nachgefragt, wie er zu diesen Waffen gekommen war. So, wie er sich jetzt verhielt, hatte er sie vermutlich nicht auf ehrliche Weise erworben. Vielleicht war es besser, dass sie die genauen Umstände nicht kannte. Auf jeden Fall musste sie die Klinge bald loswerden. Wenn irgendjemand genauer hinsah, würde er erkennen, dass sie etwas unter ihrem ärmlichen Gewand verbarg. Die Hohe Kammer war nicht allzu weit von der Kammer der Beratung entfernt. Ihr fielen die Krüge wieder ein, hinter denen sie sich versteckt hatte. Dort würde ein gutes Versteck sein. Sie lief mit gesenktem Kopf durch die Gänge, so als sei sie in eiligem Auftrag
unterwegs, genau wie sie es schon einmal gemacht hatte. Auch dieses Mal wurde sie von niemandem angehalten. Sie erreichte die Ecke mit den Krügen. Ein kurzer Blick in alle Richtungen – dann kroch sie in die Lücke und legte den Dolch an die Wand, dort, wo die Schatten am tiefsten waren. Zwei Sekunden später stand sie wieder im Gang und war erleichtert, diese gefährliche Last ungesehen losgeworden zu sein.
»Was machst du da?«, erkundigte sich eine weiche Stimme.
Erschrocken fuhr Maru herum.
Umati, die Frau des Immit, war scheinbar aus dem Nichts in Begleitung zweier schwarz gewappneter Krieger im Gang aufgetaucht. Ihr Blick war nicht unfreundlich, auch wenn Maru jetzt, aus der Nähe, sah, dass der üppige Schmuck einen Zug von Härte in ihrem Gesicht überstrahlen sollte. Ein schwerer, süßlicher Duft umgab sie.
»Ich... ich suche … ich suche Biredh, den Erzähler«, stieß Maru hervor.
»Ich glaube nicht, dass du ihn zwischen diesen Wasserkrügen finden wirst.«
»Er ist blind, Herrin.«
»Auch ein Blinder wird sich nur schwerlich in diese finstere Ecke verirren«, gab Umati lächelnd zu bedenken.
Maru hätte sich ohrfeigen können. Alles, was sie gesagt hatte, war so unglaublich dumm gewesen.
»Vielleicht versuchst du es zur Abwechslung mit der Wahrheit.«
Die Wahrheit? Das war natürlich nicht möglich – oder doch? »Ich habe etwas versteckt«, gab Maru zu.
»Ah, ein Geheimnis.« Umati zwinkerte ihr wieder zu. Sie war so wunderschön mit ihren Kleidern, ihrem Schmuck, ihrem langen Haar. Maru fühlte sich umso mehr wie ein Bauerntrampel im Erntesack.
»Ja, ein Geheimnis, Herrin.«
»Nun gut, dann will ich es gar nicht wissen. Dieses Haus birgt so viele Rätsel, dass es auf eines mehr oder weniger nicht ankommen wird.« Umati wurde ernst. »Ich hoffe sehr, Mädchen, dass dein Geheimnis nicht so finster ist wie die anderen, die uns hier umgeben.«
Darauf konnte Maru nun nichts erwidern.
»Und falls du wirklich einen Blinden suchst, ein solcher sitzt im vorderen Hof, am Brunnen. Ich weiß seinen Namen nicht, aber er kann wundervoll erzählen.«
»Das ist Biredh«, rief Maru. »Danke Herrin, ich habe ihn wirklich gesucht.«
»Dann beeil dich, bevor du anderswo vermisst wirst.« Umati wandte sich ab und ging mit den beiden Kriegern davon.
Ihr süßlicher Duft hing noch eine Weile in der Luft. Maru hätte gerne geglaubt, dass sie nach Rosen duftete, doch es war etwas anderes. Sie
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