Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
diese alte Geschichte fast vergessen hätte. »Biredh...«, begann sie vorsichtig.
Der Alte reckte sein Gesicht gen Himmel und ließ die Sonne in seine leeren Augenhöhlen scheinen. »Es ist schon spät.« Er seufzte. »Auch ich sollte mich auf den Weg machen.«
»Aber …«
»Welche Farbe hatten sie?«
»Wer?«
»Die Schmetterlinge.«
»Sie waren gelb.« Maru war verwirrt. Worauf wollte der Alte denn jetzt wieder hinaus?
»Das ist gut, Maru Nehis.« Biredh nahm seinen langen Stab und stand auf. »Aber jetzt solltest du zurück in die Hohe Kammer gehen, Tasil wartet sicher schon auf dich.« Er streckte sich. »Es werden heute noch wichtige Dinge geschehen, Dinge, die auch dich betreffen werden. Also lauf!«
»Aber...«
»Ich weiß, dass du viele Fragen hast, Maru Nehis, aber ich weiß nicht, ob ich die Antworten kenne, und von denen, die ich kenne, bin ich nicht sicher, ob ich sie dir sagen soll.«
»Aber …«
»Nur so viel: Du hast dein Leben bis gestern am sicheren Ufer verbracht, doch jetzt befindest du dich auf dem Fluss, nein, mitten in einem reißenden Strom voller Untiefen und Strudel. Viele davon sind an der Oberfläche unsichtbar. Das sind die gefährlichsten.« Der Alte drehte sich um und wollte gehen.
»Biredh!«, rief Maru.
»Ja?«
»Ich … ich wollte dir danken.«
Der Alte lachte. »Für diese Antwort?«
»Nein, für das, was du getan hast.«
Daraufhin lachte der Alte nur noch lauter, schüttelte den Kopf und ging davon. Maru sah ihm nach. Sie ärgerte sich, dass Biredh sie einfach stehen ließ. Nahm er sie nicht ernst? Sie hatte so viele Fragen, aber statt klarer Antworten gab es nur neue Rätsel und schwammige Hinweise. Warum hatte sie ihn überhaupt gefragt? Sie seufzte. In einem hatte er jedoch recht, sie musste zurück in die Hohe Kammer.
Doch gerade als sie sich auf den Weg machen wollte, drang Lärm an ihr Ohr, der sie zögern ließ. Es war ein auf- und abschwellendes Rufen aus vielen Kehlen. Sie lief vor zu der niedrigen Mauer, die das oberste Stockwerk des Bet Raik umfasste. Unter ihr lag die breite Stufe, von der aus am Vortag der Malk und die Priester zum Volk gesprochen hatten. Aus einem der Tore strömten jetzt Krieger hinaus. Sie eilten die Stufen hinab und über den Platz mit der Edhil-Säule zum Tor der Hegasch. Dort quoll aus einer schmalen Gasse eine dicht gedrängte, wütende Menschenmenge.
Maru reckte sich. Wegen der hohen Mauern des Schirqus konnte sie die Ursache für den Zorn der Serkesch nicht ausmachen. Doch im nächsten Moment kamen sie um die Ecke: vier stolze Reiter. Die Hakul waren eingetroffen, die Helme mit den berüchtigten Kriegsmasken unter den Arm geklemmt.
Jetzt verstand Maru auch, warum die Menge so wütend war. Schmähungen wurden gebrüllt, und sie sah, wie Gegenstände nach den Reitern geworfen wurden. Es schien sich um Steine, aber auch Abfälle und faulige Früchte zu handeln. Die vier ertrugen es mit unbewegter Ruhe, und selbst ihre Pferde waren von dem Lärm der Menge offenbar nicht zu beunruhigen. Die Hakul wurden von
etlichen Speerträgern aus Serkesch begleitet, doch die konnten wenig gegen die wütende Menge ausrichten. Einige der Soldaten sahen selbst ziemlich mitgenommen aus. Doch jetzt kam die Verstärkung aus dem Bet Raik dazu. Gemeinsam bildeten die Krieger eine Doppelreihe, die die Serkesch daran hinderte, die Hakul weiter zu verfolgen. Eine Eschet begleitete die Reiter bis zur langen Treppe, die zum obersten Stockwerk führte. Immer noch flogen vereinzelt Steine und faulige Äpfel über den Platz. Maru hatte genug gesehen und lief schnell zur Hohen Kammer.
Als Maru die Halle betrat, sah sie Tasil bei Malk Numur und Abeq Mahas stehen. Die drei hatten sich etwas abgesondert. Während Tasil auf die beiden anderen einredete, verspürte Maru wenig Lust, zu ihnen zu gehen, und wartete. Nach einer Weile kam Tasil zu ihr herüber.
»Wo bleibst du so lange, Kröte?«, herrschte er sie an.
»Verzeih, Onkel, die Sache war schwieriger, als ich dachte«, antwortete sie leise.
»Aber du hast ein sicheres Versteck gefunden?«, vergewisserte er sich ebenso vorsichtig.
Maru nickte stumm.
»Sie ist wertvoll, diese Sache. Ich hoffe, du findest sie wieder.«
»Der Abeq und Malk Numur beobachten uns, Onkel.«
»So?«, fragte Tasil, der mit dem Rücken zu den beiden stand. Er drehte sich nicht um.
»Ja, sie flüstern miteinander.«
»Sie haben auch viel zu besprechen«, entgegnete Tasil mit einem selbstzufriedenen Lächeln.
»Was hast
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