Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
Ihr Gegner war viel grö
ßer als sie und wollte sie mit schierer Gewalt über den Haufen rennen.
Maru war keine Kriegerin, doch sie hatte im vergangenen halben Jahr einiges von Tasil gelernt. Er war ein guter Lehrmeister, was den Kampf mit dem Messer anging. Er hatte ihr gezeigt, wie man mit und ohne Schild kämpfte, wie man stärkeren Gegnern auswich und unterlegene in die Enge trieb. Und er hatte sie gelehrt, wie man die Schwachstellen des Feindes erkannte. »Ein Messer ist immer schneller als ein Schwert oder eine Axt, Kröte«, hatte er einmal gesagt. Das war in Aurica gewesen. An einem kühlen, sonnigen Tag auf einem Feld nahe des Meeres, über dem vor blauem Himmel weiße Möwen kreisten. Tasil kannte viele Kniffe, und Maru hatte immer gegen ihn verloren, doch manchmal war der Ausgang schon knapp geworden. Sie war eine gute Schülerin, das hatte selbst Tasil zugegeben. Und sie hatte schon einmal auf Leben und Tod gekämpft. Vor einem halben Jahr, in der Gruft von Raik Utu, gegen den Thymanbadh, den Koloss aus Ton. Gegen einen Menschen hatte sie jedoch noch nie die Waffe gezogen. Der Krieger, der jetzt gegen sie anrannte, wollte sie töten, daran gab es keinen Zweifel. Sie wich aus und stach zu. »Es ist gleich, wo du deinen Gegner verwunden kannst. Jede Wunde macht ihn schwächer. Wenn du nur mit dem Messer kämpfst, versuche nicht, ihn mit einem Streich zu töten«, hatte Tasil sie gelehrt. Der Mann stöhnte, sie hatte eine Sehne unter der Kniekehle durchtrennt. Er taumelte und stürzte. Maru wich da schon dem nächsten Angreifer aus. Der Tempel war nun voller Krieger, und es wurden immer mehr. Maru wusste kaum, was sie während dieses Kampfes tat, der Stunden zu dauern schien, dabei aber doch wohl nur wenige Sekunden währte. Sie wehrte sich, stieß zu, hatte plötzlich einen Schild in der Hand, verteidigte sich, wurde am Arm getroffen, kämpfte, fiel hin, stand wieder auf, kämpfte weiter. Sie sah
den Farwier, der mit seiner großen Axt einen Kreis der Angst um sich geschaffen hatte. Sie sah Tasil, der mit dem Rücken zum Altar gegen drei Gegner gleichzeitig focht. Sie sah Vylkas, der hinter seinem zerbrochenen Schild kauerte und um sich stach. Und für einen Augenblick war es, als würde das alles in unendlicher Langsamkeit ablaufen. Männer griffen sie an, und sie hatte alle Zeit der Welt, auszuweichen, sich über den Boden abzurollen, zu entkommen und anderswo zuzustechen. Sie hörte jemanden ängstlich keuchen und stellte erstaunt fest, dass sie es selbst war, sie sah einen blutenden Arm und bemerkte kaum, dass er zu ihr gehörte. Und dann entdeckte sie Lathe. Das Mädchen hatte eben noch bei Biredh hinter dem Altar gestanden, unbeachtet von den wütenden Kämpfern, doch jetzt war sie mitten unter die Schwerter geraten. Als Maru sie bemerkte, lief sie mit vor Schreck geweiteten Augen zum Ausgang, nicht darauf achtend, was um sie herum geschah. Und da war Hana, hinter ihr. Er verfolgte sie! Und er hatte einen kurzen Speer in der Hand. Maru verlor Lathe zwischen den kämpfenden Männern aus den Augen, fand sie wieder, von einem Schild achtlos zur Seite geschleudert. Das Mädchen fiel hin, zwischen die Beine der Krieger. Maru hörte jemanden laut aufschreien. War sie selbst das gewesen? Sie stürzte nach vorn, zu dem Mädchen, das auf dem Boden lag und weinte, wich einer Axt aus, stolperte, lief weiter. Da waren nur noch Arme, Beine und Schilde und Schwerter, Speere und Äxte und sie mittendrin. Sie bekam einen Stoß ab, verlor ihren Dolch, ließ ihn liegen. Hana beugte sich über Lathe. Sie stieß ihn zur Seite, hob das Mädchen, das nicht viel kleiner war als sie selbst, auf und trug es aus dem Getümmel. Sie wich einem brüllenden Kydhier aus, duckte sich unter einem Schwertstreich hindurch, stolperte, fing den Sturz gerade noch ab und trug die Unschuldige aus dem Gefecht und zu Biredh, der dort stand und mit weit aufgerissenen leeren Augenhöhlen auf die entsetzlichen Geräusche des Kampfes lauschte. Sie war schon fast
dort, als sie einen jähen und durchdringenden Schmerz im Rücken spürte. Der Schmerz begann, als eine kleine Spitze in sie eindrang, und breitete sich rasend schnell aus, als sie durchbohrt wurde, und etwas unter ihrem Brustbein wieder austrat. Sie ging in die Knie. Lathe sprang aus ihren Armen und flüchtete sich zu Biredh. Hinter ihr ertönte ein heiserer Triumphschrei. Hana? Maru schaute ungläubig nach unten. Dort ragte etwas aus ihrem Gewand, ein Stück Bronze, lang und
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