Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
und dann zu einem offenen Maul wurde. Männer schrien auf, warfen ihre Waffen fort und sprangen über Bord. Der Kiefer schnappte zu und zerriss die Schilfbündel. Das Boot wurde zerfetzt. Körper flogen durch die Luft. Maru sah Krieger, die panisch versuchten, ans Ufer zu schwimmen. Unvermittelt verschwand eine ganze Gruppe von ihnen in einem Strudel, der sich plötzlich unter ihnen auftat. Der schwarze Rücken der großen Schlange zeigte sich an der Oberfläche, krümmte sich und tauchte wieder ab.
»Brandpfeile, Brandpfeile, ihre Narren!«, brüllte Upnu wieder, und er schwenkte seinen langen Speer.
Ruhig strömte das Wasser des Stromes flussabwärts, aber auf den dunklen Wellen trieben Holztrümmer, Leichen und ein zerfetztes Schilfboot und kündeten vom Angriff des Ungeheuers.
»Ans Ufer«, schrie plötzlich jemand auf dem Damm. Es war Fakyn. Doch es war zu spät: Die Erwachte tauchte dicht unter dem Damm auf. Wieder hob sie sich turmhoch aus dem Wasser, und Maru wusste, dass dies nur der kleinere Teil ihres riesigen Körpers
war. Dann geschah etwas Erstaunliches. Ein Mann in einem hellen Gewand trat der Schlange entgegen und reckte seinen grauen Stab in die Höhe. Klias! Der Maghai rief laut eine kurze Beschwörungsformel – und dann änderte sich alles. Eine blaue Flamme verließ seinen Stab, schoss auf die Erwachte zu und traf sie unter dem hoch erhobenen Haupt. Wie eine Wolke breitete sie sich aus und umhüllte die Erwachte mit ungezählten bläulichen Flammenzungen. Selbst das Wasser um ihren Rumpf brannte. Maru schrie auf. Brennender Schmerz umfing ihren Körper dort, wo das Stück Haut der Awathani sie umspannte. Und Maru schrie nicht allein. Auch die Zermalmerin schrie, nein, sie brüllte, stieß einen markerschütternden Laut aus, wie ihn wohl noch kein Mensch zuvor gehört hatte. Agir warf sich auf den Boden des Kahns und hielt sich die Ohren zu. Maru war einer Ohnmacht nahe. Die blaue Flamme kroch über ihre Haut, verbrannte ihr Fleisch. Niemand bemerkte es. Agir jammerte laut, und die anderen blickten gebannt auf das grausame Schauspiel, das sich ihren Augen darbot. Die Awathani brannte. Für Maru gab es nur noch den Schmerz. Und dann war da plötzlich eine leise innere Stimme, die ihr ein Wort zuflüsterte. Sie verstand es nicht gleich. Doch dann wurde es klarer: Blendwerk . Maru fühlte ihre Haut brennen. Blendwerk, wiederholte die Stimme. Maru krümmte sich, keuchte, kämpfte dagegen an. Die innere Stimme hatte ja recht: Das war das Handwerk der Maghai. Sie waren keine feuerspeienden Daimonen, sie ließen ihre Feinde nur genau das glauben. Aber der Schmerz war so stark. Blendwerk. Maru kämpfte. Sie wusste, dass eigentlich keine blauen Flammen über ihren Leib krochen – aber ihr Körper begriff es nur langsam. Da, der Schmerz ließ nach. Sie keuchte, öffnete ihre Augen. Sie spürte die Tränen, die ihre Wangen hinabliefen. Blendwerk , wiederholte sie sich immer wieder. Verschwommen sah sie die Rücken der Männer im Boot und den ungeheuren Leib der brüllenden Awathani, der wie eine Fackel vor dem Himmel loderte. Die Gestalten
auf dem Damm bewegten sich nicht. Einige schienen das schreckliche Schauspiel wie erstarrt zu bestaunen, andere hatten sich, wie Agir, auf den Boden geworfen, hielten sich die Ohren zu oder bargen ihr Gesicht in den Händen. Und dann fiel der turmhohe Körper. Maru konnte kaum etwas sehen. Da – jetzt rannten sie. Schemenhaft sah Maru davonhastende Männer und eine einzelne, hell gekleidete Gestalt mit einem grauen Stab, die dort verharrte, wo gleich der Leib der Erwachten den Damm zerschmettern musste. Das alles durchdringende Brüllen endete in einem dumpfen Knirschen und Bersten. Die Erschütterung des Aufpralls lief durch den Fluss. Der Schmerz war fort, das Feuer erloschen. Maru blinzelte schwach und rang nach Luft.
»Ist sie …?«, rief Hardis, aber er vollendete diesen Satz nicht. Nein, die Erwachte war nicht tot. Sie war wütend. Maru spürte diese Wut in ihrem Inneren. Wo eben noch lodernder Schmerz gewesen war, herrschte nun Eiseskälte. Sie sah die Leibwächter, die, halb wahnsinnig vor Angst, mit riesigen Äxten auf das Untier lossprangen und auf seine schwarze Haut einschlugen. Und von den Booten und Schiffen stiegen jetzt endlich die Brandpfeile auf, die Upnu zweimal gefordert hatte, und prasselten auf die Awathani nieder. Maru spürte die Schläge, die Pfeilspitzen auch, aber es waren gemessen an dem verzehrenden Schmerz des Feuers nicht einmal
Weitere Kostenlose Bücher