Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
Nadelstiche. Die Zermalmerin zog ihren Kopf ein Stück zurück und wälzte sich zur Seite. Einige Schreie zeigten, dass nicht alle Angreifer rechtzeitig hatten fliehen können. Der schwarze Leib sank wieder ins Wasser. Von Klias war nichts mehr zu sehen. Der Angriff der großen Seeschlange hatte dort, wo er eben noch gestanden hatte, ein riesiges Loch in den Damm geschlagen. Da – ein heller Fleck trieb im Wasser. War das der Leib des Maghai? Oder nur sein Gewand? Für einen Augenblick war es unnatürlich still über dem Strom. Die Awathani war verschwunden. Die Männer auf dem Damm standen wie betäubt. Der lange Erdwall
war zwischen der Gruppe um Numur und dem Ufer fast ganz zerstört worden. Ein schmaler Streifen verband die beiden Teile noch. Doch jetzt begann er nachzugeben. Die Erde rutschte, und dann brach der Damm unter dem Druck des Wassers. Der Strom fraß sich immer schneller durch das künstliche Hindernis aus Erde, Holz und Steinen und ließ eine Insel im Fluss zurück. Schließlich klaffte dort ein Graben, beinahe so breit wie der Kopf der Erwachten, durchströmt von reißendem Wasser. Und Numur, Uschparu, Mahas und die Ihren fanden sich abgeschnitten vom Ufer wieder. Die Brücke war eingestürzt, der Erdwall gebrochen. Sie waren gefangen im Strom. Maru sah, wie sie sich ängstlich zusammendrängten.
»Jetzt?«, fragte Hardis.
»Noch nicht«, antwortete Tasil mit gepresstem Atem.
Die Schiffe auf dem Strom taumelten im Wellenschlag ziellos umher. An eines der Schilfboote klammerten sich nun viele der Männer, deren Gefährt eben zerstört worden war. Einige ihrer Waffenbrüder halfen ihnen an Bord. Andere starrten ins Wasser, die Bogensehnen gespannt. Am Ufer waren die meisten geflohen, doch jetzt sammelten sich dort Gruppen tapferer Männer, und von Zeit zu Zeit, wenn einem Schützen eine Welle auffällig erschien, flog ein brennender Pfeil durch die Luft, nur, um dann zischend im Strom zu verschwinden. Ein Schrei zeigte, wo die Erwachte jetzt wirklich war. Ihr Kopf tauchte oberhalb des Dammes auf, strich über die abgeschnittene Insel und riss mit einem einzigen Zuschnappen gleich vier Männer in den Tod. Maru wischte sich die Tränen aus den Augen. Wo war Numur? Sie konnte ihn nicht mehr sehen. Hatte die Erwachte ihn geholt? Seine Leibwächter schienen das zu glauben. Sie warfen ihre großen Äxte fort und rannten davon. Uschparus Verwalter folgten ihnen. Mahas brüllte einen Befehl. Die Priesterkrieger stellten sich den Flüchtenden in den Weg und versuchten, sie aufzuhalten. Aber nicht alle Leibwächter
hatten ihre Axt fallen gelassen. Maru sah, wie eine schimmernde Schneide über dem Gerangel der Männer auftauchte und einen Priester niederstreckte. Die Schreie wurden lauter. Männer rangen miteinander, andere warfen sich in den neuen Graben und versuchten, ihn zu durchqueren und den Damm auf der Uferseite zu erreichen. Aber die Strömung war stark dort und riss die Schwächeren von den Beinen. Die, die keinen Stand fanden, versuchten sich an anderen festzuklammern, und jene unternahmen wiederum alles, sich von diesen Verderben bringenden Umarmungen zu befreien. Wer aber den Graben überwand, machte nicht halt, um den anderen zu helfen, sondern rappelte sich auf und rannte weiter. Und auf der neuen Insel im Strom rangen Leibwächter mit Priesterkriegern, mit und ohne Waffen in widersinnigem Kampf. Fakyn brüllte nach Ordnung und Ruhe, doch brüllte er vergeblich.
»Jetzt«, befahl Tasil.
Ihr Kahn schoss aus seiner Deckung hervor und steuerte mit schnellen Ruderschlägen hinaus auf den Fluss, zum abgeschnittenen Ende des Dammes. Eine Art Jagdfieber schien die Männer gepackt zu haben, und auch Maru spürte diese fiebrige Erregung. Vergessen war die Angst, vergessen auch der Schmerz. Das Blut pochte in ihren Schläfen. Sie dachte nicht mehr an den Frieden, an das Schicksal der Stadt, der Männer im Fluss oder auch nur an ihre eigene Sicherheit. Dort vorne wartete er auf sie, der Schatz, den sie nur noch zu holen brauchten. Und es war ein unermesslich großer Schatz. Der erste Angriff der Awathani hatte die meisten Träger noch auf der Brücke erwischt, weshalb viele Kisten verloren waren, doch dort, wo das Opferbecken stand, waren noch genug gestapelt. Einige waren umgeworfen und zersprungen. Gold- und Silberbarren glänzten im Fackelschein.
»Denkt daran, Männer – das Gold und den Bernstein«, mahnte Tasil, während sie mit aller Kraft ruderten. Der Fisch erreichte sein Ziel. Mit einem
Weitere Kostenlose Bücher