Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
und verschwand im schwarzen Wasser. Maru bekam noch einmal den Rumpf ihres Kahns zu fassen, er trieb kieloben in der Strömung. Eine weitere Welle lief über den Strom und drehte den Fisch auf die Seite. Für einen Augenblick sah es so aus, als würde er sich aufrichten, aber dann lief er voll und sank. Maru paddelte panisch umher. Sie konnte kaum schwimmen. Plötzlich packte sie eine Hand am Genick und zog sie zu ein paar Holzbalken, die vorübertrieben. Sie erreichte sie und hielt sich fest. Erst dann sah sie, wer sie gerettet hatte. Es war Tasil. Sie schluckte Wasser und musste husten. Tasil schwieg. Der Strom war voller Krieger. Viele trieben tot auf dem Fluss, andere schwammen um ihr Leben und versuchten, das Ufer zu erreichen. Das Heck der Schwinge ragte hoch in den Himmel und brannte lichterloh. Der Rest des Schiffes war verschwunden, aufgelöst in Einzelteile. Bei den vielen schwarzen Köpfen, die dem Ufer zustrebten, vermochte Maru nicht zu sagen, wer Serkesch und wer Iaunier war. Aber es waren nicht nur Menschen im Wasser. Sie war auch noch dort. Strudel bildeten sich, und Männer wurden vom Sog erfasst und verschwanden. Dann zeigte sich ihr Rücken vor dem Ufer, und alle, die schon gehofft hatten, bald in Sicherheit zu sein, kehrten schreiend um. Dann zeigte sich ihr Kopf auf der anderen Seite des Stromes, tauchte auf, verschwand wieder und riss Männer mit in den Tod. Sie spielte mit den Kriegern, trieb sie von einem Ufer zum anderen und brachte einem nach dem anderen den Tod. Nur wer wie Maru und Tasil an ein
Stück Holz oder ein Bündel Schilf geklammert flussabwärts trieb, schien dem Blutbad entkommen zu können. Aber war da noch jemand außer ihnen? Der Feuerschein der brennenden Schwinge erhellte den Nachthimmel. Maru sah den schweigenden Tasil und sonst nur dunkle Umrisse im Wasser. Das konnten ebenso gut treibende Wrackteile wie Menschen sein. Und wenn es Menschen waren, dann war nicht gesagt, dass sie noch lebten. Die Schreie im Wasser hinter ihr wurden weniger. Schließlich verstummten sie ganz. Maru krallte sich ins Holz und ließ sich treiben. Sie spürte die Nähe der Erwachten, ihre kalte Wut. Es schien beinahe, als würde sie ihr folgen.
Schwarzer Dhanis
Es wird eine Nacht kommen ohne Morgen.
Prophezeiung der Akkesch
Das Stück Holz trug sie flussabwärts. Aus irgendeinem Grund wollte Tasil nicht ans Ufer. Sie hatte ihm ein »Danke« zugeflüstert, aber er hatte nicht geantwortet. Sie ließen sich treiben, und Maru sah schließlich vor sich etwas aus dem Fluss wachsen. Es waren die Schatten hoher Weiden. Eine Insel!
Tasil murmelte so etwas wie einen Befehl und begann, das Stück Treibholz dorthin zu lenken. Maru half mit. Sie spürte Grund unter den Füßen, das Wasser wurde flacher. Sie verständigten sich stumm. Gemeinsam schleppten sie das Stück Holz aus dem Wasser und krochen landeinwärts. Ein breiter Schilfgürtel umgab das Eiland. Maru tastete sich hindurch, bis unter die Weiden. Dort
war es stockdunkel. Sie ging weiter. Es kümmerte sie nicht, was Tasil tat. Sie spürte kurzes Gras unter ihren Füßen. Vor ihr wurde es heller. Eine Lichtung. Maru lief hinaus. Über ihr schimmerten die Sterne. Der Mond war bereits untergegangen. Sie ging auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Die Bilder der vergangenen Stunden strömten auf sie ein: Die Erwachte, der Kampf am Damm, all die Toten, die brennenden Schiffe. Sie zitterte am ganzen Leib und unterdrückte ein Schluchzen. Plötzlich spürte sie, dass sie nicht allein war. Ein tiefes Summen lag über der Wiese. Es klang böse.
»Ich grüße dich, Maru Nehis«, flüsterte eine silbrige Stimme.
Marus Herz setzte für einen Schlag aus.
Utukku.
»Dein Blut«, hauchte der Daimon.
Maru nahm die Hände vom Gesicht. Da, in der Mitte der Lichtung wartete ein tiefschwarzer Schatten, ein dunkler Kern, der von wirbelnden, summenden Schleiern verhüllt war. Maru wusste, dass dies die unzähligen Fliegen waren, die den Daimon umschwärmten.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie tonlos.
»War immer dort«, flüsterte der Daimon.
War das so? Hatte er sie den ganzen Abend beobachtet? Natürlich, die Awathani! Er hatte sie gelenkt, ihren Angriff gesteuert. Er hatte ihr vermutlich zugesehen, wie sie um ihr Leben gerudert war, gekämpft hatte, fast ertrunken wäre. Und jetzt, wo sie erschöpft und zerschlagen an Land gekrochen war, jetzt kam er, um zu fordern, was er nicht bekommen durfte. Sie musste Zeit gewinnen, ihre
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