Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
angerempelt.
»Verzeih mir mein Ungeschick, Herr«, sagte eine vertraute Stimme – Biredh!
»Hast du keine Augen im Kopf, Alter?«, schalt ihn Klias.
Biredh wandte ihm seine leeren Augenhöhlen zu, und der Maghai erbleichte.
»Verzeih meinem Freund, alter Mann, er konnte dich wohl
nicht richtig sehen«, erklärte Velne. Er atmete tief durch und schien sich schwer auf seinen Stab stützen zu müssen.
»So ist es eben. Die Sehenden sind oft von gleicher Blindheit wie die Blinden«, entgegnete Biredh lächelnd.
»Du bist der Erzähler, nicht wahr?«, fragte Velne.
»Der bin ich wohl, Herr, und ich erzähle dir gern jede Geschichte, die du hören willst, wenn du glaubst, eine Mahlzeit für mich erübrigen zu können.«
»Ein Bettler«, stellte Klias naserümpfend fest.
Maru zitterte, und ihre Beine waren schwach. Der Maghai war in ihren Geist eingedrungen, und sie hatte ihn nur mit knapper Not von ihren Geheimnissen fernhalten können.
»Ich bin blind und arm, Herr, doch will ich nichts geschenkt. Eine Geschichte ist Nahrung für Ohr und Geist, wie man sagt. Ist es da nicht recht und billig, wenn ich für diese Nahrung meinerseits etwas Speise für den Magen erwarte? Aber ich will nicht streiten mit Männern, deren Namen ich nicht weiß«, erklärte Biredh lächelnd.
»Verzeih meine Unhöflichkeit, Erzähler, ich bin Velne, dieser dort ist mein alter Freund Klias und jener, der so verdrossen schweigt, ist Belk, sein Schüler. Wir sind Tochar und kommen von den Imuledh, den Himmelsbergen, wie man sie auch nennt.«
»Man nennt mich Biredh, Herr. Ich hörte, diese Berge berühren wirklich den Himmel. Wer sie besteigt, soll Fahs ’ Wolken von oben bestaunen können. Ist das wahr?«
»So ist es. Es ist ein überwältigender Anblick, doch mangelt es mir leider an deiner Zungenfertigkeit, um ihn angemessen zu beschreiben, ehrwürdiger Biredh«, antwortete Velne. Er sah den Blinden nachdenklich an, aber obwohl seine Augen nur auf ihn gerichtet schienen, beschlich Maru das ungute Gefühl, dass er in Wahrheit immer noch sie musterte. Die lähmende Empfindung in ihren Beinen klang allmählich ab.
»Und was hat euch dazu getrieben, eure erhabenen Berge zu verlassen und in die Niederungen dieser Moore und Sümpfe herabzusteigen, wenn ich das fragen darf, edler Tochar?«
»Eine Geschichte, die du sicher kennst, Erzähler. Sie handelt von einer Schlange, die wieder erwacht ist, nach vielen Jahren und doch vor ihrer Zeit.«
»Ich habe davon gehört«, meinte Biredh lächelnd, »doch ist diese Geschichte noch nicht abgeschlossen, und so kann ich sie dir nicht erzählen.«
»Denkst du denn, dass du ihr Ende bald erfahren wirst?«, fragte Velne nachdenklich.
Biredh lachte. »Woher soll ich das wissen, edler Velne? Wenn die Mär schon von Lagerfeuer zu Lagerfeuer gekrochen ist, dann fragen sie mich, ob ich nichts darüber zu erzählen weiß. Und ich höre erst zu und muss dann aus dem, was ich von vielen Stimmen und immer anders und nie ganz höre, eine Erzählung machen, die der großen Wahrheit gerecht wird. Und hier haben wir es mit einer sehr großen Wahrheit zu tun, einer Awathani, nicht wahr?«
»Nanu, was ist denn das hier für eine Versammlung?«, mischte sich eine weitere Stimme ein und bekräftigte diese Frage mit einem lauten Niesen. Wika!
»Ich wünsche Gesundheit«, sagte Klias und sah angewidert zu, wie sich Wika geräuschvoll die Nase putzte.
»Ich danke dem fremden Herrn«, sagte die alte Kräuterfrau. »Ist nur der elende Staub. Liegt hier in allem und über allem, kitzelt in meiner Nase. Aber vielleicht auch etwas anderes, vielleicht ist es einer von euch, der meiner Nase nicht gefällt.«
»Wie sehr ich das bedauern würde«, sagte Velne freundlich. »Bist du nicht die Heilerin dieser Unglücklichen hier?«
»Wenn sie unglücklich sind, dann nicht meinetwegen«, entgegnete Wika scharf, »auch wenn meine Laune gerade nicht die beste ist. Denn sieh, ich habe dieses Mädchen, Nehis gerufen, fortgeschickt
mit wichtigem Auftrag, und wie es aussieht, wird sie aufgehalten von Fremden, die sich nicht vorstellen.«
Velne blieb höflich, bat um Vergebung und stellte sich und die anderen Tochar noch einmal vor.
»Weit weg von zu Hause, Velne von den Tochar, nicht wahr?«, stellte Wika misstrauisch fest.
»Stell dir vor, alte Freundin, sie sind hier, weil sie die Erwachte suchen«, erklärte Biredh.
»Wirklich? Da kann ich helfen. Im Fluss ist sie zu finden. Dort entlang und dann immer geradeaus. Nimm
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