Die Tochter des Magiers
»Eine prächtige Frau mit
Fleisch auf den Knochen und Feuer im Leib.« Er grinste. »Eine reiche
Witwe ist ein Gottesgeschenk für einen Mann. Sie hat Juwelen –
ah.« Er küßte seine Fingerspitzen und seufzte. »Letzte Nacht hatte ich
ihren Opalanhänger in der Hand. Zehn Karat, mon ami , vielleicht zwölf, umgeben von einem Dutzend lupenreiner
Diamanten. Aber du und die anderen habt es fertiggebracht, daß ich mich
schon schuldig fühle, wenn ich bloß daran denke, ihn ihr abzunehmen.
Also werde ich ihr morgen Adieu sagen, und sie wird heim nach Montreal
fahren mit ihrem Opal und ihren Diamanten, mit einem wundervollen
Rubinring und unzähligen anderen Kostbarkeiten … ich darf gar
nicht daran denken. Nur ihre Tugend habe ich ihr gestohlen.«
Amüsiert legte Luke ihm eine Hand auf die Schulter. »Manchmal
ist das schon genug, mon ami .« Er
blickte zur Tür.
Dort stand der Erste Offizier neben Roxanne und küßte ihr
gerade die Hand. Die Tatsache, daß der Mann ein hochgewachsener,
braungebrannter Grieche war, war schlimm genug. Aber daß Roxanne ihn
anlachte, war geradezu empörend. Sie trug ein aquamarinfarbenes kurzes
Kleid, enganliegend und trägerlos, das nicht nur Arme und Schultern,
sondern den gesamten Rücken frei ließ und überhaupt aus erstaunlich
wenig Stoff bestand.
Ihr Haar hatte sie hochgesteckt, so daß jeder Mann in
Versuchung geriet, es zu lösen, um zu sehen, wie diese Mähne auf ihre
goldbraunen Schultern fiel.
»Sie wird nichts damit erreichen.«
»Wie?«
»Ich weiß, was sie vorhat«, knurrte Luke. »Aber das
funktioniert nicht.« Er marschierte zur Bar, um sich einen Whiskey zu
gönnen. LeClerc lachte leise.
»Es hat bereits funktioniert, mon cher loup . Der Wolf ist der Füchsin in die Falle gegangen.«
Zwei Stunden später stand Roxanne hinter
der Bühne und wartete auf ihren ersten Auftritt. Heute, am letzten
Abend der Kreuzfahrt, wollten die Nouvelles noch einmal alle in Staunen
versetzen.
Max und Lily machten den erfolgreichen Anfang mit einer ihrer
Variationen der zersägten Frau. Sobald Lily wieder zusammengesetzt war
und sie sich verbeugten, eilte Luke auf die Bühne, um das Publikum mit
seinen Sprüchen und einigen Taschenspielertricks in Stimmung zu halten.
»Und wenn man mir die Handschellen angelegt hat, habe ich noch
dreißig Sekunden. Harry?« Er lächelte dem kleinen bebrillten Mann an
seiner Seite zu. »Ich darf sie doch Harry nennen?«
»Klar.«
»Also, Harry, ich möchte, daß Sie die Zeit für mich stoppen.
Hat Ihre Uhr einen Sekundenzeiger?«
»Ja, sicher.« Hilfsbereit streckte Harry den Arm
aus – und schaute verdutzt auf sein nacktes Handgelenk.
»Er ist wirklich klasse.« Dori spähte über Roxannes Schulter.
Luke beendete die Nummer und gab beiden Männern, die verlegen
grinsten, ihr Eigentum zurück. Das Orchester stimmte eine flotte
Melodie an, um das Finale einzuleiten. »Sie waren großartig. Jetzt
können Sie sich entspannen. Nichts für ungut.« Augenzwinkernd
überreichte er Harry die Krawatte, die er von seinem Hals gelöst hatte.
Dann machte er sich daran, Harrys Jackett abzubürsten, rückte es gerade
und zog die Ärmel zurecht.
»Warum spielt er denn jetzt den Kammerdiener?« fragte Dori.
»Warte nur ab.«
Schließlich schien Luke zufrieden und schüttelte den beiden
ein letztes Mal herzlich die Hände. Als Harry sich umwandte, um die
Bühne zu verlassen, griff Luke von hinten nach seinem Kragen. Ein
schneller Ruck, und er hielt das hellblaue Hemd in der Hand, während
der Mann auf seine nackte Brust unter dem Anzugjackett glotzte.
»Heiliger Strohsack! Wie hat er das denn gemacht? Wie hat er
die Ärmel aus dem Jackett gekriegt?«
Roxanne lachte, wie jedesmal, wenn sie Luke bei diesem Trick
zuschaute. »Das ist leider Berufsgeheimnis«, grinste sie und eilte auf
die Bühne.
Sie standen nebeneinander, trugen das gleiche
Kostüm – Fracks mit glitzernden Aufschlägen – und
lieferten sich eine Art Duell mit einigen Taschenspielertricks. Präzise
aufeinander abgestimmt, ließen sie in rascher Folge Gegenstände
erscheinen und verschwinden, vervielfältigten sie, veränderten Farbe
und Größe.
Zum krönenden Abschluß wollte Luke die versprochene
Entfesselungsnummer zeigen, zu der er Roxannes Assistenz brauchte.
Die Musik setzte wieder ein, und Luke streckte die Arme aus.
Roxanne legte ihm die Handschellen an, verschloß sie und schlang
sicherheitshalber noch eine Kette um seine Hände. Dann drehte sie die
Kiste mit
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