Die Tochter des Magiers
Holzklötzchen umstieß. Und alles nur, weil
der tote Cobb ein klein wenig mehr von Nutzen für ihn war als der
lebendige. Luke ließ sich kraftlos auf das Bett fallen. Die ganzen
Jahre über hatte er gedacht, er hätte alles unter Kontrolle. Doch das
war eine Illusion gewesen, denn in Wirklichkeit hatte ständig jemand
hinter der Szene gestanden, die ihn beobachtet und sich einen boshaften
Spaß daraus gemacht, die Fäden zu ziehen.
Und alles nur wegen irgendeiner verrückten Eifersucht und
einem kindischen Haß. Jeder, der in dieser Nacht dabeigewesen wäre,
hätte sofort gesehen, daß Sam nicht nur maßlos ehrgeizig und völlig
kaltblütig war, er war regelrecht übergeschnappt.
Was konnte er tun? Luke rieb sich mit den Händen über die
Augen, als wolle er die verstörenden Bilder wegwischen, um wieder
klarer sehen zu können.
Er war in ein Privathaus eingebrochen. Wenn die Polizei einen
entsprechenden Tip bekam, würde sie keine Mühe haben, die richtige Spur
zu finden, und diese Spur führte direkt zu den Nouvelles. Und wenn er
mit einer solch aberwitzigen Geschichte zur Polizei ging, wem würde man
glauben dem Dieb oder dem ehrbaren Bürger?
Trotzdem konnte er es riskieren. Obwohl er nicht sicher war,
ob er die Gefangenschaft aushalten würde, ohne durchzudrehen, konnte er
es riskieren. Aber er mußte damit rechnen, daß Sam seine anderen
Drohungen wahr machte. Max in einer Irrenanstalt, Lily am Boden
zerstört, Roxanne hinter Gittern. Vielleicht hatte Sam sogar so viel
Geschmack am Morden gefunden, daß er sie alle umbrachte – mit
der Waffe, auf der sich Lukes Fingerabdrücke befanden.
Eine panische Angst überkam ihn bei diesem Gedanken. Hastig
griff er zum Telefon und wählte. Seine Hand umklammerte den Hörer. Sie
antwortete beim ersten Läuten, als habe sie auf ihn gewartet.
»Hallo? Hallo, ist da jemand?«
Sie saß vermutlich im Bett, hatte den Hörer am Ohr und ein
offenes Buch im Schoß, während ein alter Schwarzweißfilm über den
Bildschirm flackerte – er sah dieses Bild so deutlich vor
sich, als sei er bei ihr im Zimmer.
Und in diesem Moment wußte er, daß er sie nie wiedersehen
durfte.
»Hallo? Luke, bis du das? Ist etwas …«
Langsam legte er auf.
Seine Entscheidung war gefallen. Hätte er sich gemeldet und
ihr alles erzählt, hätte er hilflos zusehen müssen, wie sie unter
dieser Katastrophe litt. Doch wenn er sie ohne ein Wort, ohne ein
Zeichen verließ, würde sie ihn mit der Zeit lediglich hassen.
Schwerfällig stand er auf und holte sich die Flasche ins Bett.
Der Whiskey würde zwar sein Elend nicht lindern, aber vielleicht konnte
er so wenigstens schlafen.
Nachdem er geduscht und sich wieder
verkleidet hatte, verließ er am Morgen das Hotel und fuhr zum
Flughafen. Er wollte leben. Und sei es auch nur, um von Ferne darauf zu
achten, daß Sam die Nouvelles in Ruhe ließ. Vielleicht auch, um
abzuwarten, bis seine Zeit gekommen war, und seine Rache zu planen.
Wohin er gehen sollte, wußte er allerdings noch nicht, und
sein Leben erschien ihm genauso leer wie die Flasche, die er im Hotel
zurückgelassen hatte.
»Er müßte schon seit Stunden zurück sein.«
Roxanne rieb nervös ihre Hände aneinander und lief im Arbeitszimmer
ihres Vaters auf und ab. »Irgendwas ist schiefgegangen. Er hätte die
Sache nie allein machen dürfen.«
»Es war nicht sein erster Job, mein Kind.« Max hob eine
buntbemalte Schachtel von einer Bank hoch. Darunter kam ein
abgetrennter Kopf zum Vorschein, der Mouses grinsende Gesichtszüge
trug. »Er weiß schon, was er tut.«
»Warum hat er sich dann noch nicht gemeldet?«
»Das kann tausend Gründe haben.« Nach einem Knopfdruck auf
eine Fernbedienung, die in Max' Ärmel verborgen war, gab der Kopf ein
langes tiefes Stöhnen von sich. Ein weiterer Druck, und die Augen
rollten nach links und rechts und der Mund öffnete sich.
»Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet. Sehr lebensecht, findest du nicht?«
»Daddy.« Ungeduldig schob Roxanne die Schachtel wieder über
den Kopf. »Luke ist in Schwierigkeiten. Ich weiß es.«
»Woher?« Max schaltete die Fernbedienung ab.
»Weil niemand etwas von ihm gehört hat, seit er gestern nacht
von hier weg ist. Weil er heute morgen um sechs Uhr zurück sein wollte,
und jetzt ist es fast Mittag. Weil man mir am Flughafen gesagt hat,
John Carroll Brakeman habe seinen Rückflugplan eingereicht, sei aber
nicht angekommen.«
»Sicher, das alles scheint beunruhigend. Genauso wie es
scheint, daß der Kopf immer noch
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