Die Tochter des Magiers
Freude
daran, andere zu quälen.
Seine Eltern wollten ihm von einem Psychologen helfen lassen,
doch wenn sie es geschafft hatten, ihn dorthin zu schleppen, starrte er
nur stumm vor sich hin. Als er sechzehn war, lehnte seine Mutter es ab,
ihm das Auto zu geben. Da schlug er ihr ein blaues Auge, nahm die
Schlüssel und fuhr davon. In der Nähe der Grenze zu Pennsylvania hatte
er das Auto stehenlassen und war nie wieder zurückgekehrt.
Mittlerweile verschwendete er keinen Gedanken mehr an seine
Eltern, es gab keine Erinnerungen an Weihnachten, an Geburtstage oder
Reisen ans Meer. Sam war dies alles so gleichgültig, als ob es nie
existiert hätte.
Die Nouvelles versorgten ihn mit Taschengeld und boten ihm
einen erstklassigen Unterschlupf. So hatte er Zeit, in Ruhe seine
nächsten Schritte zu planen. Da sie sich seiner Ansicht nach von ihm
ausnutzen ließen, verachtete er sie genausosehr wie er die beiden
Menschen verachtet hatte, denen er das Leben verdankte.
Am meisten haßte er Luke, obwohl er selbst nicht wußte, warum.
Aber er wollte auch gar nicht darüber nachdenken. Doch da er spürte,
daß Roxanne auf mädchenhafte Weise für Luke zu schwärmen begonnen
hatte, setzte Sam alles daran, sie ihm abspenstig zu machen.
Außerdem hielt er sie für das schwächste Glied der Gruppe. Er
widmete ihr Zeit und Aufmerksamkeit, hörte ihr zu, bewunderte ihre
Geschicklichkeit beim Zaubern und schmeichelte ihr so lange, bis sie
ihm ein paar Tricks zeigte. So gewann er allmählich ihr Vertrauen, und
sie empfand immer mehr Zuneigung für ihn.
Gegen Ende seines zweiten Monats in New Orleans beschloß er,
daß es Zeit war, sich ihre Einfältigkeit zunutze zu machen. Er ging ihr
oft entgegen, wenn sie aus der Schule kam, wofür Max und Lily ihm
besonders dankbar waren. So auch an einem kühlen, feuchten Wintertag,
an dem die Menschen die Straßen entlanghasteten, um in ihre warmen
Häuser zu kommen. Roxanne blieb zum Schutz vor dem Nieselregen unter
den Markisen und betrachtete die Schaufenster. Viele Ladeninhaber
kannten sie gut und freuten sich über ihre Besuche.
Sam entdeckte sie schon von weitem und machte sich in bester
Stimmung daran, seinen Plan in die Tat umzusetzen. »Hallo, Rox, wie
war's in der Schule?«
»Ganz okay.« Sie lächelte ihm zu.
Einer der Läden an der Royal Street war vollgestopft mit
allerlei Trödel. Die Inhaberin besserte ihr Einkommen auf, indem sie
nebenbei Tarotkarten legte und aus der Hand las. Sam hatte sich diesen
Laden ausgesucht, weil Madame D'Amour nur selten Kundschaft hatte und
Roxanne oft bei ihr hereinschaute.
»Willst du dir nicht mal wieder die Karten legen lassen?«
grinste er. »Vielleicht kannst du herausfinden, wie du bei der letzten
Arbeit abgeschnitten hast?«
»Ich frage nie solch dummes Zeug.«
»Du könntest fragen, wann du einen Freund kriegst.« Er
betrachtete sie mit einem Blick, bei dem sie ein wohliger Schauder
überlief, und öffnete die Tür, ehe sie weitergehen konnte. »Vielleicht
verrät sie dir sogar, wann du heiratest.«
»Du glaubst doch gar nicht wirklich an die Karten«, meinte
Roxanne unsicher.
»Sehen wir mal, was sie dir erzählt. Vielleicht tue ich's
dann.« Madame D'Amour, deren kantiges Gesicht von großen dunklen Augen
beherrscht wurde, saß hinter der Theke. Sie hatte wie üblich reichlich
Rouge aufgelegt, trug einen purpurfarbenen Kaftan und eine ihrer vielen
Turbane, unter dem nur ein paar Strähnen ihres tiefschwarz gefärbten
Haares hervorlugten. An ihren Ohren baumelten schwere Ohrringe aus
Bergkristall, und um den Hals hatte sie mehrere Silberketten
geschlungen. An beiden Handgelenken klirrten Armreifen.
Sie war bestimmt über sechzig und behauptete, von Zigeunern
abzustammen, was möglicherweise sogar stimmte. Roxanne war fasziniert
von ihr.
Als die Türglocke läutete, blickte sie auf und lächelte. Bunte
Tarotkarten lagen in einem Keltischen Kreuz vor ihr auf der Theke.
»Ich dachte mir schon, daß meine kleine Freundin mich heute
besuchen kommt.«
Roxanne kam näher und betrachtete die Karten. Die übermäßige
Hitze in dem kleinen Laden kümmerte sie nicht. Es roch immer so
wundervoll nach dem Weihrauch, den Madame verbrannte, und nach ihrem
Parfüm, das sie großzügig gebrauchte.
»Bist du gekommen, um etwas zu kaufen, oder weil du eine
Antwort suchst?«
»Haben Sie Zeit für eine Lesung?«
»Für dich immer, Schätzchen. Vielleicht trinken wir dabei eine
heiße Schokolade, oui ?« Sie
blickte hinüber zu Sam, und ihr
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