Die Tochter des Magiers
Lächeln gefror ein wenig. Irgend etwas
an dem Jungen gefiel ihr nicht, trotz seines freundlichen Lächelns und
seiner hübschen Augen. »Und du? hast du auch eine Frage an die Karten?«
»Eigentlich nicht.« Er schien etwas verlegen zu sein. »Mir ist
das ein wenig unheimlich. Laß dir ruhig Zeit, Rox. Ich muß noch was im
Drugstore abholen. Wir sehen uns daheim.«
»Okay.« Während Madame nach den Karten griff und aufstand,
ging Roxanne schon auf den Vorhang zu, der den Laden von einem
Hinterzimmer trennte. »Sag Daddy, ich komme gleich.«
»Klar. Bis dann.« Ein höhnisches Grinsen überzog sein Gesicht,
als der Vorhang sich hinter den beiden geschlossen hatte. Er öffnete
die Ladentür ein Stück, damit die Glocke läutete, und huschte dann
rasch an den Tischen vorbei zurück zur Theke. Darunter stand eine
bemalte Zigarrenkiste, in der Madame die täglichen Einnahmen
aufbewahrte. Die Beute war nicht sonderlich groß – das
Geschäft ging an regnerischen Wintertagen schleppend –, aber
Sam scharrte alles bis auf den letzten Cent in seine Tasche und blickte
sich hastig um, ob er sonst noch etwas Lohnenswertes entdeckte. Am
liebsten hätte er den ganzen Laden aus reiner Zerstörungslust kurz und
klein geschlagen. Aber er stopfte sich nur die Jackentaschen mit
einigen kleineren Nippsachen voll, ehe er wieder zur Tür schlich.
Vorsichtig hielt er die Ladenglocke fest, schlüpfte hinaus und schloß
die Tür leise hinter sich.
Im Laufe der nächsten Woche raubte Sam vier weitere Läden aus,
häufig mit Hilfe der ahnungslosen Roxanne, die im Viertel bekannt war.
Da alle sie gern mochten, konnte er damit rechnen, daß sich die
Angestellten oder Ladenbesitzer mit ihr unterhielten und dadurch so
abgelenkt waren, daß er sich bedienen konnte. Was immer gerade greifbar
war, stopfte er sich in die Taschen, ganz egal, ob es sich dabei um
wertvolle Porzellandöschen oder billige Souvenirs handelte. Es gelang
ihm sogar noch einmal, eine Kasse auszuräumen, während Roxanne mit dem
Ladenbesitzer im Hinterzimmer war, um eine Porzellanpuppe zu bewundern,
die gerade aus Paris eingetroffen war.
Der Wert seiner Beute spielte für Sam keine Rolle, aber er
hatte ungeheure Freude daran, die unschuldige vertrauensselige Roxanne
als ahnungslose Komplizin zu mißbrauchen. Niemand würde jemals
Maximilian Nouvelles kleinen Liebling beschuldigen, billigen Krimskrams
zu klauen. Mit ihrer Hilfe konnte er sich also gewissenlos und nach
Herzenslust die Taschen füllen.
Doch das beste in diesem Winter war, daß er Annabelle
verführte.
Es ging ganz leicht. Er hatte nur Augen und Ohren offenhalten
und die richtige Gelegenheit nutzen müssen. Wie die meisten Liebespaare
hatten auch Luke und Annabelle hin und wieder Streit. Meistens ging es
darum, daß sie der Ansicht war, Luke habe nicht genügend Zeit für sie.
Sie quengelte zunehmend, er solle Proben ausfallen lassen oder bei den
Vorstellungen früher verschwinden, weil sie mit ihm zu einer Party
wollte, zum Tanzen, zu einer Ausfahrt. Trotz aller Verliebtheit war
Luke jedoch viel zu professionell – sei es als Zauberer oder
als Dieb –, um eine Vorstellung oder eine nächtliche
Unternehmung abzusagen. Nicht einmal Annabelle zuliebe.
»Du weißt, daß ich nicht kann«, seufzte er ungeduldig und nahm
den Hörer ans andere Ohr. »Ich habe dir das doch alles schon vor Tagen
erklärt, Annabelle.«
»Du bist einfach bloß dickköpfig«, jammerte sie unter Tränen,
und Luke fühlte sich wie der letzte Dreckskerl. »Mr. Nouvelle würde es
bestimmt verstehen.«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Luke – weil er Max gar
nicht erst gefragt hatte. »Ich habe an diesem Wochenende Vorstellung,
Annabelle. Soll ich etwa die Nummer platzen lassen?«
»Ich sehe schon, das Zaubern bedeutet dir mehr als ich.«
Luke hütete sich zu sagen, daß sie damit völlig recht hatte.
»Es ist mein Job.«
»Lucys Party wird die größte des Jahres, und einfach alle
gehen dorthin. Ihr Dad hat sogar eine richtige Band engagiert. Ich
sterbe, wenn ich das verpasse.«
»Dann geh doch«, sagte Luke ungeduldig. »Ich habe dir doch
gesagt, es ist okay. Ich erwarte nicht, daß du allein zu Hause sitzt.«
»Ja, klar«, schniefte sie empört. »Ohne meinen Freund auf der
größten Party des Jahres aufkreuzen, wie sieht das denn aus? Ach,
bitte, Schatz«, flehte sie, »könntest du dich nicht wenigstens nach der
ersten Show kurz verdrücken und mich zu Lucy bringen? Dann kannst du ja
wieder verschwinden.«
Die
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