Die Tochter des Münzmeisters
wisse.
»Ich war dabei, damals, nach dem Überfall. Brun hatte fliehen können und wurde dabei schwer verletzt. Zusammen mit Goswin und einigen anderen Männern sind wir so schnell es ging zum Hof deines Großvaters geritten. Leider konnten wir nur noch die Toten und Verletzten bergen. Das Haus brannte lichterloh, und deine Mutter lief wie eine Wahnsinnige schreiend darauf zu, denn Esiko befand sich noch drinnen. Goswin musste sie zurückhalten, und noch in seinen Armen hat sie Esikos Namen gewimmert.«
Clemens schwieg einen Augenblick, doch dann seufzte er tief und lächelte seine Tochter an.
»Das hört sich vielleicht seltsam für dich an, aber obwohl ich es wusste, war es mir gleich, Hauptsache Hemma war bei mir, und ich konnte ihrer verletzten Seele Liebe und Geborgenheit geben. Deine Mutter war eine wundervolle Frau, und ich bin sicher, dass es sich bei Esiko ebenfalls um einen guten Menschen gehandelt hat, da Hemma ihm ihre Liebe geschenkt hatte. Ich hoffe, du wirst es eines Tages verstehen, und wünsche dir, dass auch du jemanden finden wirst, mit dem du das Glück der Liebe entdecken und teilen kannst.«
Henrika blieb ihm eine Antwort schuldig. Auch wenn Clemens immer ihr Vater bleiben würde, gab es im Augenblick trotzdem zu viel, womit sie fertig werden musste. Dazu zählte nicht nur die Erkenntnis, dass ihr Vater gar nicht ihr leiblicher Vater war. Vielleicht würde es leichter sein, wenn einige Zeit vergangen war, doch das musste sich erst zeigen.
Die andere Sache, die ihr zusetzte und die ihr Vaterohne es zu wissen angesprochen hatte, verschob sie auf später, denn Clemens nahm sie unvermittelt an die Hand und führte sie hinauf in sein privates Reich. Nachdem er die Tür hinter sich zugedrückt hatte, bat er sie, Platz zu nehmen, und Henrika setzte sich auf den Stuhl, auf dem vor einiger Zeit Randolf gesessen hatte. Damit hatte die ganze Angelegenheit ihren Anfang genommen.
Wie aus heiterem Himmel lachte Clemens laut auf. Als er den verstörten Blick seiner Tochter sah, setzte er zu einer Erklärung an. »Entschuldige bitte, aber ich musste gerade daran denken, wie deine Mutter meinen Heiratsantrag angenommen hat. Der Überfall lag zwar erst kurze Zeit zurück, aber die Schändung hing natürlich wie ein Damoklesschwert über ihr. Dass sie sich vorher bereits Esiko hingegeben hatte, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, aber es hätte nichts an meiner Entscheidung geändert. Erst hat sie um Bedenkzeit gebeten, aber eines Tages kam sie plötzlich zu uns ins Haus gerauscht und hat mir kurzerhand mitgeteilt, dass sie meinen Antrag annimmt.« Seine Heiterkeit verschwand, und mit ernster Miene fügte er hinzu: »Lange nach unserer Heirat hat sie mir dann erzählt, dass ihre Mutter ihr zugesetzt und sie zu einer Heirat mit mir gedrängt hatte. Sozusagen um das Schlimmste, nämlich ein uneheliches Kind, zu verhindern.«
Henrika wollte sich erheben, um ihren Vater in den Arm zu nehmen, doch er hob abwehrend die Hände.
»Lass gut sein, Tochter. Das war nicht als Klage gemeint. Deine Großmutter hat ja mit dir darüber gesprochen. Sie stand noch unter dem Schock der erlittenen Fehlgeburt und des Verlustes ihres Mannes. Was keine Rechtfertigung sein soll, verstehe mich bitte nicht falsch, aber sie hat in ihrem Leben genug gebüßt, undich kann mir keine bessere Großmutter für dich vorstellen.«
»Aber meine Mutter, ich meine …«, hilflos brach Henrika ab, denn ihr fehlten die richtigen Worte.
»Deine Mutter hat mich anfangs, wie schon gesagt, nicht geliebt, sondern nur Freundschaft und Dankbarkeit für mich verspürt. Aber in der viel zu kurzen Zeit unserer Ehe hat sie die Ruhe bei mir gefunden, die sie dringend benötigte, und war sogar glücklich, dessen bin ich mir sicher.«
Er dachte an den Moment zurück, als er bei der Geburt an Hemmas Lager gestanden hatte.
»Ich wusste, dass Gott mich irgendwann für mein selbstsüchtiges Verhalten zur Rechenschaft ziehen wird«, hatte Hemma zu ihm gesagt. »Aber Clemens, Liebster, du musst wissen, dass du mich in der kurzen Zeit unserer Ehe sehr glücklich gemacht hast. Du bist ein guter Mensch.«
Er war damals froh, dass seine Gemahlin nicht sehen konnte, wie er gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen musste, und auch jetzt schluckte er schwer, um vor Henrika nicht die Beherrschung zu verlieren.
Die Geburt war sehr lange und dramatisch verlaufen, und Hemma hatte tapfer um das Leben ihrer Tochter und um das ihre gekämpft. Gemeinsam mit Edgitha hatte
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