Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
stammten aus Satsuma-Familien, hatten Satsuma-Blut in den Adern, und da die Regierung ihnen gedungene Mörder auf den Hals schickte, blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als sich so schnell wie möglich zu verdrücken.
Fast einen Monat hatten sie gebraucht, um hierherzukommen – ein elender Treck hinunter nach Yokohama, und dann noch weitaus erbärmlichere zehn Tage an Bord eines Schiffes. Keiner von ihnen hatte je zuvor eine längere Schiffsreise unternommen, und sie hatten die meiste Zeit seekrank in ihren Kajüten verbracht. Erleichtert hatten sie schließlich die Palmen an den Ufern von Kagoshima erblickt und den eindrucksvollen Vulkan Sagurajima – Kirscheninsel –, der über der Bucht aufragte und Rauch und Asche ausspuckte. Hin und wieder rumpelte es, und schwarze Asche regnete auf die Stadt, so viel, dass die Menschen Schirme aufspannten.
Sie waren im September angekommen, dem achten Monat nach dem alten Kalender, gerade rechtzeitig zur Taifunsaison, und waren sofort getrennt und in unterschiedliche Schulen um die Stadt oder auf dem Land geschickt worden. Von seinen Kumpanen aus Tokyo sah Eijiro kaum noch etwas. Aber er hatte erst nach und nach begriffen, was wirklich vorging.
Die Menschen hier betrachteten Satsuma als unabhängiges Land. Befehle kamen aus Tokyo – »Entwaffnet die Samurai. Nehmt ihnen ihre Stipendien!« –, doch der Gouverneur, ein grimmiger Krieger namens Tsunayoshi Oyama, schenkte dem nicht die geringste Beachtung. Schließlich hatten sie ihre eigene Armee, und auch noch eine verdammt starke, gut bewaffnet und bestens ausgebildet. Kein Grund, Befehle von jemandem anzunehmen, vor allem nicht von einer Bande korrupter, bärtiger Bürokraten in irgendeiner fernen Stadt, die allem, für das sie hier standen, feindlich gesinnt waren.
Unten am Hafen blickte eine Gruppe von Männern aufs Meer hinaus. Eijiro begrüßte sie und zog seinen Chronometer heraus, das einzige Stück aus seiner Habe, das er hatte retten können. Die dicke Goldkette und das große runde Zifferblatt mit den fremdländischen Zahlen lösten eine Flut von Erinnerungen aus, und einen Moment lang war er wieder in Tokyo, im Freudenviertel Yoshiwara, sank auf das üppige Bettzeug in Tsukasas prächtigen Räumen. Tsukasa, die begehrteste Kurtisane des ganzen Landes. Er konnte ihr parfümiertes Haar riechen, ihren weichen Körper spüren … Von all jenem fernen, beinahe unvorstellbaren Leben war sie es, die er am meisten vermisste. Hin und wieder schickte sie ihm Briefe, das Papier stark parfümiert, und ließ sich über Tränen und ewige Liebe aus. Doch er war kein Dummkopf, er wusste, wozu Kurtisanen fähig waren. Zweifellos hatte sie bereits zahllose Liebhaber, die sie trösteten. Er konnte ein Stöhnen kaum unterdrücken.
Mit einem Ruck kehrte er in die Gegenwart zurück. Um die Landspitze drehte ein kleiner, dreieckiger Fleck bei. Er wurde immer größer, bis Eijiro Segel erkennen konnte, weiß vor dem Horizont. Dampf quoll aus den Schornsteinen, ahmte die große Rauchwolke nach, die unheilvoll über dem Vulkan hing. Die Männer spähten durch ihre Fernrohre. Ein Ausguck war ständig bemannt, um sicherzugehen, dass das näher kommende Gefährt kein Kriegsschiff voller Soldaten war.
Eijiro gehörte zum Empfangskomitee, das Neuankömmlinge überprüfte. Ein paar Monate nach seiner Ankunft hatte es starken Zustrom gegeben, nach den Sommerferien, als die Kadetten zur Militärakademie in Tokyo zurückkehren sollten. Die Satsuma-Jungen hatten sich stattdessen einhellig entschieden, die Heimreise anzutreten.
Sie mussten alle verhört werden, um ihre Loyalität zu überprüfen, den Grund für ihr Kommen, über welche Fähigkeiten sie verfügten und um Größe, Gewicht, Gesundheitszustand und Stärke festzustellen. Nachdem man sich davon überzeugt hatte, dass sich unter ihnen keine faulen Eier befanden, wurden sie einer der Militärschulen oder einem der Ausbildungslager in der Region zugeteilt. Es gab über hundert Schulen und mehrere tausend Männer, alle kampfgestählt und einsatzbereit.
Danach waren die Flüchtlinge eingetroffen. Eijiro hatte Dienst gehabt, als seine Mutter und seine Schwester vor einem Monat angekommen waren. Von seinen Kameraden hatte er eine Menge Hänseleien einstecken müssen, als sie in ihren schicken Kleidern aus der Barkasse gestiegen waren, gefolgt von einer Schar Bediensteter mit ganzen Gepäckladungen auf dem Kopf. Eijiro hatte sie ausgeschimpft. »Was macht ihr hier? Das ist kein Ort
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