Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
niederen Rang, doch jeder konnte sehen, dass er das Zeug zu einem großen Meister hatte.
Nakahara grinste. »Immer noch unbesiegt. Vor Kurzem ist er gegen Makuuchi angetreten. Es war vorbei, bevor man bis zehn zählen konnte.«
»Makuuchi, ja? Der war doch völlig chancenlos, das hätte einem jeder sagen können. Umegatani ist der viel bessere Mann, was Gewicht und Fähigkeit angeht. Gegen den hat bestimmt keiner gesetzt, kann ich mir vorstellen.«
Nakahara begann ihn mit Runden, Punkten und Form zu traktieren, aber Eijiro hatte etwas anderes im Sinn. »Was ist mit Yoshiwara? Wie steht es dort? Sie sind Polizist, Sie müssen doch ein wenig herumgekommen sein.«
»Ich wurde vor Kurzem gerufen, einen ausländischen Seemann zu verhaften. Er hatte den Weg dorthin gefunden, sich mit Sake abgefüllt, war in das Matsubaya getorkelt und hatte nach einer Frau verlangt. Das Matsubaya, stellen Sie sich das vor!« Eijiro nickte wissend. Das Matsubaya war eines der angesehensten Häuser in Yoshiwara und akzeptierte niemals Ausländer. Nakahara wedelte verächtlich mit der Hand. »Wissen Sie, was passierte? Die Madame zeigte ihm die Tür, und er hat auf sie eingestochen – direkt ins Gesicht. Kein schöner Anblick. Überall Blut. Wir haben ihn ins Kodenmacho gebracht und eingesperrt. Diese Ausländer glauben, ihnen gehört die Welt!«
»Er wird vor eines dieser Ausländergerichte gestellt werden, und sie werden den Fall abweisen, ihm eine Strafe von ein oder zwei Yen auferlegen, und das war’s dann.«
»Und unsere Regierung schmeichelt sich bei diesen Ausländern ein. Wie läuft es denn hier so?«
»Das werden Sie bald genug erfahren.« Eijiro gefiel der Mann. »Ich werde beim Hauptmann unserer Schule ein Wort für Sie einlegen. Bestimmt gibt es dort eine freie Tatamimatte für einen Burschen wie Sie.«
»Für die Schule bin ich ein bisschen zu alt«, meinte Nakahara. Er hatte ein offenes, freundliches Lächeln.
»Wir nennen sie Schulen, aber sie sind eher wie private Militärakademien, Ausbildungslager«, erwiderte Eijiro. »Doch die Unterbringung werden Sie aus Ihren Schultagen wiedererkennen – ein Mann, eine Matte.«
23
Genau genommen hatten die Männer weniger als eine halbe Matte für sich. Mit über achthundert Auszubildenden hatte die Schule Schwierigkeiten, sie alle in den wackeligen alten Stallungen unterzubringen, und sie verbrachten die Nächte aneinandergedrängt oder zusammengerollt auf den Holzböden der Flure. Aber Bequemlichkeit war das Letzte, worum sie sich Sorgen machten. Einige waren Jugendliche, andere kampferprobte Veteranen, die sich in den Feldzügen zur Niederwerfung des Shogun und der Zerschlagung des Widerstandes im Norden bewährt hatten. Jung oder alt, sie verabscheuten die korrupten Bürokraten oben in Tokyo, die darauf aus waren, den gesamten Samurai-Stand zu zerstören. Sie konnten es kaum erwarten, die Waffen zu ergreifen und ihnen eine Lektion zu erteilen.
Nakahara gewöhnte sich rasch ein. Er rasierte sich den Bart ab und ließ sein Haar wachsen, wenngleich es Monate dauern würde, bis es lang genug war, um zu einem Samurai-Pferdeschwanz hochgebunden zu werden, und er kleidete sich in einen rauen Baumwollkimono und Beinlinge wie alle anderen. Geschickt mit dem Schwert, Stock oder Gewehr, beteiligte er sich ebenso fröhlich an Küchen- und Reinigungsdiensten und war bald in der ganzen Schule beliebt. Er war ein gutmütiger Bursche, immer bereit zu einem Witz.
Oft rauchte er ein schnelles Pfeifchen mit Eijiro. Genau wie er hatte Nakahara keine Angst davor, Zweifel über das zu äußern, was sie hier taten – unter vier Augen natürlich, wo keiner mithören konnte. Seit Langem hatte Eijiro keinen echten Freund mehr gehabt, und schon bald kam es ihm vor, als hätte er Nakahara von Kindheit an gekannt.
Eines Morgens, etwa einen Monat nach Nakaharas Ankunft, ertönte der Weckruf wie gewöhnlich kurz vor Morgengrauen. Eijiro hatte vom Vergnügungsviertel geträumt, konnte Tsukasas Parfüm beinahe riechen. Aufgeschreckt fand er sich in der eiskalten Halle wieder, umgeben von verschwitzten Männerkörpern. Als die Männer in der Dunkelheit übereinanderkletterten, nach ihren Überkimonos und Hakamas tasteten, stöhnte er und zog sich die Decke über den Kopf. Er war der Letzte, der sich von seinem Futon rollte und hinaus auf den Exerzierplatz stolperte.
Als die ersten Lichtstrahlen den Himmel färbten, standen die Ausbilder draußen bereits aufgereiht und hatten stramme Haltung
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