Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Stapeln lackierter Essenskästen; ihr Atem hing wie Dampfwölkchen in der eisigen Luft.
Durch geschlossene Türen und Fensterläden drangen das Zupfen von Shamisen und der schwermütige Gesang zarter Frauenstimmen. Rauch stieg auf, erfüllt vom kräftigen Geruch nach gegrilltem Aal, gebratenem Rind und gekochtem Schwein. Taka musste an ihren Vater denken und wie sehr er es genossen hatte, sich über das Fleisch herzumachen.
Das Geplapper wurde lauter, als die ersten Kunden eintrafen, gut aussehende junge Samurai mit Schwertern in den Gürteln und Pferdeschwänzen oder kurz geschorenem Haar. Willkommensrufe ertönten, als sie durch die Menge stolzierten und in den Teehäusern verschwanden. Die Geishas liebten diese galanten jungen Männer. Die Einzigen, die sich die Bezahlung der Geishas leisten konnten, waren Kaufleute, Geldverleiher und Geschäftsmänner, und da die Frauen praktisch veranlagt waren, verdienten sie ihren Lebensunterhalt damit, ihnen Vergnügen zu bereiten. Aber sie alle nahmen sich verarmte junge Samurai als Liebhaber. Und jetzt, da ihre Männer schon am nächsten Tag in den Krieg ziehen würden, wollten sie dafür sorgen, dass sie sich vorher noch einmal so gut wie möglich amüsierten.
Die Feierlichkeiten waren schon seit drei Tagen im Gange. Die ersten Bataillone waren vor zwei Tagen aus der Stadt marschiert, die nächsten am Tag danach, und viele der Männer hatten die Nacht im Geisha-Viertel verbracht, bevor sie abzogen. Das letzte Bataillon würde am folgenden Tag die Nachhut bilden.
Selbst Takas Herz schlug beim Anblick dieser schmucken jungen Männer schneller. Bevor sie nach Kagoshima gekommen war, hatte sie nie an einen anderen Mann als Nobu gedacht. In Tokyo hatte sie alles an ihn erinnert – die blank geschliffene Veranda, auf der sie gesessen hatten, wenn sie ihm beim Lesen half, die Lichtung, auf der er in jener schicksalhaften Nacht ihre Hand ergriffen hatte. Aber die Zeit und sein langes Schweigen hatten den Schmerz abstumpfen lassen.
Außerdem war es in dieser aufregenden neuen Stadt unmöglich, für lange Zeit trübselig zu bleiben. Sie war jetzt siebzehn. Die meisten Mädchen ihres Alters waren verheiratet und hatten ihre ersten Kinder bekommen oder sich in ihrem Geisha-Dasein eingerichtet, je nachdem, in welcher Welt sie sich bewegten. Höchste Zeit, dass sie sich Nobu und die törichten Ereignisse des letzten Sommers aus dem Kopf schlug.
Gesellschaftlich hatten ihre Mutter und sie einen ziemlichen Abstieg hinter sich seit jenen Tagen, in denen sie ihre eigenen Rikschas besaßen und im großen Stil über die Ginza gerumpelt waren. Taka hatte sich verboten, an die große Residenz mit den vielen Dienstboten, den Räumen voll wunderschöner Dinge, den gestalteten Gärten und dem Wald zu denken. Das kleine Haus im Geisha-Bezirk von Kagoshima war jetzt ihr Zuhause.
Sie war seit zwei Monaten hier und hatte schon fast das Entsetzen vergessen, das sie bei dem Gedanken erfüllt hatte, in dieses ferne, barbarische Land verbannt zu sein. So seltsam es auch sein mochte, inzwischen hatte sie das Gefühl, nie woanders gelebt zu haben. Als sie um die Landspitze gefahren waren und den großen Vulkan mit seiner schwarzen Aschewolke zum ersten Mal erblickt hatten, war ihr plötzlich bewusst geworden, wie unglaublich blau der Himmel hier war, wie grün die Wälder, selbst im Winter, und wie steil und zerklüftet die Berge, wie auf einer Tuschezeichnung. Dampf stieg hier und da aus dem Boden, roch nach Schwefel, färbte die Felsen gelb, und direkt am Fuß des Vulkans gab es mineralreiche heiße Quellen, die zum Baden einluden. Selbst die Menschen wirkten lebendiger, wenn sie lachten und sich in ihrem rauen, unverständlichen Dialekt unterhielten.
Ihr Bruder Eijiro hatte sie am Kai in Empfang genommen. Er war dünner und gebräunt, sein Gesicht nicht mehr so aufgedunsen und verquollen. Lautstark hatte er sich in die Brust geworfen und ihnen mitgeteilt, sie hätten in einem Bauerndorf auf dem Land zu leben. Dorthin wurden alle Neuankömmlinge geschickt.
Taka hatte sich ein Lächeln verkniffen. Gerade Eijiro hätte wissen müssen, dass ihre Mutter sich niemals auf so einen Blödsinn einlassen würde. Fujino hatte gewartet, bis Eijiro außer Hörweite war, hatte sich dann an die jungen Männer gewandt, die sich ehrfurchtsvoll verbeugten, und sehr fest mit ihrer trällerndsten Stimme gesagt: »Wir haben bereits unsere eigenen Vereinbarungen getroffen, vielen Dank.«
In Wahrheit hatten sie nicht
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