Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
an. Er schüttelte den Kopf, als könnte er kaum glauben, dass es kein Traum war, und wiederholte: »Du.«
Fujino kniete nach wie vor, die Hände auf dem Boden. Sie tupfte ihre Augen mit dem Ärmel ab. »Komm herein«, flüsterte sie. »Ich habe eine Mahlzeit für dich bestellt.«
Taka hatte eine Flasche mit aus Süßkartoffeln gebranntem Shochu geholt. Sie wusste, dass es das Lieblingsgetränk ihres Vaters war. Als sie hereinkam, hörte sie sein dröhnendes Lachen.
Er hatte seine Jacke ausgezogen, saß im Schneidersitz neben der Feuerstelle in dem kleinen Erdgeschossraum im hinteren Teil des Hauses und wärmte sich die Hände. Ihre Mutter, ausladend und üppig, kniete neben ihm und füllte seinen Becher. Zwei Laternen erleuchteten die dunklen Ecken des schäbigen Raumes.
»Brichst du wirklich morgen auf?«, fragte Fujino und beugte sich zu ihm. »Du …«, sie hauchte das Wort beinahe. »Immer der Dickköpfige. Niemand konnte dir je Vorschriften machen.«
Sie wollte ihm wieder nachschenken, doch er hielt seine große Hand über den Becher. Er hatte nie viel getrunken.
So vieles gab es zu bereden – alles, was in den drei Jahren ihrer Trennung geschehen war, warum er keine Verbindung gehalten hatte, warum er nicht zu Besuch gekommen war, selbst nachdem ihm Fujino von ihrer Ankunft in Kagoshima geschrieben hatte, warum er in den Krieg ziehen musste. Aber vermutlich würden sie über all das nicht sprechen. Er kam hierher, um zu vergessen. Die beiden würden lachen und plaudern und Späße machen, als hätten sie sich erst am Tag zuvor gesehen.
»Warum komme ich nicht einfach mit dir?« Fujino schlug ihm spielerisch auf den Schenkel. »Nicht nur Samurai-Frauen können kämpfen, weißt du. Ich kann mit den Besten reiten!«
Der General warf den Kopf zurück und lachte, bis ihm Tränen über die Wangen liefen. »Das müsste mal ein Pferd sein! Nein, du gehörst hierher. Ich möchte die Gewissheit haben, dass du hier bist und auf mich wartest, wenn ich zurückkomme.«
Taka kniete sich neben ihn. Sie hatte ihm so viel zu erzählen, und ihnen blieb nur diese eine Nacht.
»Wir hatten eine aufregende Reise, Vater«, sagte sie. »Wir mussten alles zurücklassen – nun ja, fast alles. Zehn Tage auf dem Schiff, und Mutter war die ganze Zeit seekrank! Weißt du, dass ich Englisch gelernt habe? Ich kann es lesen und jetzt auch schreiben.« Sie hielt inne, um Luft zu holen, und ihr fiel ein, dass der Englischunterricht aufgehört hatte, als sie Tokyo verließen. So vieles war passiert, das sich ihr nicht vollständig erschloss.
»Kleine Taka«, gluckste General Kitaoka. »Du bist zu einer wunderschönen jungen Dame herangewachsen. Und auch zu einem so schlanken kleinen Wesen.«
»Wie gut, dass sie nicht nach uns beiden geraten ist!«, meinte Fujino. »Haru ist inzwischen verheiratet, weißt du. Ich hatte auch eine Ehe für Taka arrangiert, aber das … hat sich zerschlagen.«
»Mit wem? Mit wem wolltest du mein kostbares kleines Mädchen verkuppeln?«
»Da war ein junger Mann namens Hachibei Masuda, ein sehr gescheiter Bursche. Er ist Kaufmann, der Erbe des Hauses Shimada …« Sie blickte ihn zaghaft an; so eine Person würde er bestimmt ablehnen.
»Ein Kaufmann? Der Erbe der Shimada?« Sein Gesicht wurde finster. »Diese Kaufleute wissen allemal, wie man zu Geld kommt. Meine ehemaligen Kollegen – Inoue und der Rest – sind alle von ihnen gekauft. Sie halten die Fäden in der Hand, lassen die Politiker nach ihrer Pfeife tanzen.« Er beugte sich vor und schaute Taka mit sanftem Blick an. »Taka-chan. Wolltest du diesen Masuda heiraten?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Taka. »Er war ein scheußlicher, aufgeblasener, herausgeputzter Mann. Er hat einen hässlichen Brief geschickt, in dem stand, er habe seine Meinung geändert und wolle mich doch nicht heiraten. Ich war so froh, als sein Brief kam.« Nervös blickte sie zu ihrer Mutter, befürchtete, sie mit dieser plötzlichen Sinnesänderung schockiert zu haben, aber sie konnte sich einfach nicht mehr länger verstellen.
Fujino sah sie mit offenem Mund an, klatschte dann in die Hände und lachte. »Tja, wer hätte das gedacht. Und ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dir hätte es das Herz gebrochen. Also wolltest du mir nur eine Freude machen!« Sie seufzte. »Ich weiß nicht, was wir mit dir machen sollen, Taka. Wir müssen einen Ehemann für dich finden, oder du wirst zu alt sein, und was wird dann passieren?«
»›Aufgeblasen, herausgeputzt …‹ Das
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