Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
lautes Seufzen ausstieß.
Okatsu hob ein üppiges grünes Gewand herunter, bedeckt mit wirbelnden Mustern aus Wolken und Vögeln. Fujino zog es über, drehte sich vor dem Spiegel hin und her. »Das geht nicht. Zu auffällig, und es macht mich dick. Nein, nein, wir brauchen etwas Schlichteres und Geschmackvolleres.« Ihre fleischigen Hände zitterten.
Taka fand es beängstigend, ihre Mutter so erregt zu sehen. Für gewöhnlich war sie so ruhig und kompetent. Ganz gleich, was geschah, sie glättete stets die Wogen. Bei ihr fühlte sich Taka immer sicher. Doch wenn General Kitaokas Name erwähnt wurde, führte ihre Mutter sich stets wie ein törichtes junges Mädchen auf.
Der General, hatte Taka gehört, habe seit seiner Rückkehr nach Kagoshima ein einfaches Leben geführt. Er verbrachte seine Zeit auf dem Land, angelte, jagte mit seinen geliebten Hunden und entspannte sich in den heißen Quellen. Er hatte hier auch eine Ehefrau, eine Frau von makelloser Samurai-Abstammung, gebürtig aus Kagoshima, wie er selbst, ausgewählt von seiner Familie und Freunden. Taka versuchte sich vorzustellen, was für ein Mensch sie wohl sein mochte – die niemals lächelnde Ehefrau eines Samurai vielleicht, die sich in selbst gewebte Kimonos kleidete.
Aber heute Abend spielte es keine Rolle, wer oder was sie war. An seinem letzten Abend in der Stadt, bevor er in den Krieg zog, hatte er beschlossen, nicht zu Hause bei seiner Frau zu bleiben, sondern seine alte Liebe zu besuchen, seine Geisha. Er hatte es Fujino in einem Brief mitgeteilt. Seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, waren mehr als drei Jahre vergangen. Ein Frösteln überlief Taka. Wenn er nun seine Meinung geändert hatte? Wenn er einfach vorbeiging und ein anderes Haus betrat? Sie schob den Gedanken beiseite.
»Er weiß, dass du nicht seine Ehefrau bist, Mutter. Darum möchte er dich sehen. Zieh den roten Kimono an, den du immer in Kyoto getragen hast. Den mochte er sehr.«
»Red doch keinen Unfug. Rot ist für junge Mädchen. Ich würde mich vollkommen lächerlich machen.« Fujino seufzte erneut, nahm einen schlichten violetten Kimono mit einem zarten Muster aus Pflaumenblüten herunter und streckte die Arme aus, damit Okatsu ihr hineinhalf.
Kaum war Okatsu damit fertig, das letzte Band um Fujinos Obi zu binden und ihr Haar zu glätten, als draußen Stimmen ertönten. Die Außentür glitt auf und ließ einen Schwall kalter Luft herein, der die Kerzenflammen so stark zum Flackern brachte, dass sie fast erloschen. Taka erhaschte einen Blick auf stämmige Gestalten, während ein kräftig gebauter Mann mittleren Alters den Kopf unter dem Türsturz duckte. Hinter ihm wurde die Tür geschlossen.
Taka und ihre Mutter lagen auf den Knien, um ihn zu begrüßen.
»Es tut mir so leid, dich in diesem armseligen, bescheidenen Haus begrüßen zu müssen«, sprudelte Fujino drauflos, als wollte sie verzweifelt das Schweigen ausfüllen. »Komm herein, komm herein. Wo bist du gewesen? Was hast du dir dabei gedacht, uns die ganze Zeit zu vernachlässigen? Wir sind schon seit zwei Monaten hier, und du hast bis jetzt mit einem Besuch gewartet? Ich sollte dich sofort wieder nach Hause schicken.« Sie stieß ein hohes, perlendes Lachen aus.
Taka hob den Kopf. Ihr war es egal, wie armselig das Haus sein mochte oder wie bescheiden ihre Lebensumstände waren. Sie wollte nur ihren lang vermissten Vater wiedersehen.
Unbeholfen stand er da, füllte fast den schmalen Vorraum aus. Über mehreren indogoblauen Kimonos und dunkelblauen Beinlingen, wie er sie in Kyoto zu tragen pflegte, war er noch in eine dicke, selbst gewebte Jacke gekleidet. Sie betrachtete seine großen Augen und buschigen Brauen, das Gesicht mit den Hängebacken und dem stoppeligen Kinn. Graue Strähnen durchzogen sein dichtes, schwarzes Haar, doch er war immer noch ihr Vater, genauso groß, verlässlich und allwissend wie je. Sie erkannte seinen Gesichtsausdruck, nachdenklich, ruhig und trotzdem entschlossen. Er war noch massiger geworden, bemerkte sie. Das musste an all den Castella-Kuchen liegen, die er so gern aß.
»Vater!«, sagte sie.
Sein Blick war auf Fujino gerichtet. Ein Lächeln ging über sein breites Gesicht.
»Du«, sagte er leise. Taka erschauerte beim Klang der geliebten, tiefen Stimme.
»Vater!«, rief sie ungeduldig. »Ich wollte dich so gern wiedersehen. Ich habe dir so viel zu erzählen! Wir haben solche Abenteuer erlebt.«
Aber er schien sie nicht zu hören. Immer noch schaute er ihre Mutter
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