Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
zu Boden sah, um dem Blick seines Vaters auszuweichen. Er hatte vergessen, wie groß General Kitaoka war. Mit seinen breiten Schultern und seiner Massigkeit überragte er sogar Eijiro.
General Kitaoka machte sich nicht die Mühe, Eijiro anzusprechen oder ihn auch nur zu beachten. Er verschränkte die Arme, blickte über die kauernden Jugendlichen und sagte sehr leise, fast wie zu sich selbst: »Shimatta!« Eijiro überlegte, was er damit meinte. War es nur der Ausruf: »Verdammt! Das war’s!« Oder stand dahinter die volle Kraft der Worte: »Wir sind restlos erledigt!«
Sein Vater war mit einigen Satsuma-Ältesten gekommen. Er trug grobe Beinlinge und mehrere dicke Baumwollgewänder unter einer gefütterten Haori-Jacke. Ein gutes Dutzend kleiner, drahtiger Hunde wuselte schwanzwedelnd um seine Füße. Er musste am selben Morgen von seinem Jagdausflug zurückgekehrt sein und hatte dabei den Tumult nicht überhören können, den die Jugendlichen bei ihrem Marsch durch die Stadt auslösten. Hinter ihm bildeten einige der kaiserlichen Gardisten seine Leibwache. Als Eijiro sie in der Tokyoter Residenz erlebt hatte, waren sie ihm für seinen Geschmack immer ein bisschen zu diensteifrig vorgekommen, aber nachdem er jetzt einige Zeit in Kagoshima verbracht hatte, nötigten ihm diese Soldaten widerwilligen Respekt ab.
Noch jemand war mit dem General gekommen, hochgewachsen, schlank und mit einem gut aussehenden, offenen Gesicht, die wahre Verkörperung eines aufrechten jungen Samurai. Eijiro biss die Zähne zusammen. Er konnte sich denken, wer das war – sein jüngerer Halbbruder Kazuo, der Sohn seines Vaters von dessen Frau. Eijiro brauchte ihn nicht kennenzulernen, um zu wissen, dass er ihn zutiefst hasste.
Die Stimme des Generals war unheilvoll leise: »Das war eine sehr geschäftige Nacht. Was für eine ungeheuerliche Angelegenheit!« Dann verdunkelte sich sein Gesicht. »Dummköpfe!«
Eijiro fiel fast um. Noch nie hatte er so ein Brüllen gehört. Es war lauter als der furchterregendste Kampfschrei, lauter als der lauteste Katsu-Schrei seines Schwertmeisters. Das Brüllen erschütterte die Luft und drang ihm bis ins Mark. Die anderen Jugendlichen fuhren zusammen und krabbelten rückwärts wie Krebse. Jemand würde für die Ereignisse der Nacht bezahlen müssen.
Eijiro drückte den Rücken durch. Als Kitaokas Sohn sollte er die Verantwortung für ihre Tat übernehmen. Wenn es sein musste, würde er rituellen Selbstmord begehen, um für ihr Vergehen zu büßen. Er hob den Kopf. »Das war ich, Vater. Es war meine dumme Idee. Ich übernehme die Verantwortung.«
Andere Jugendliche riefen: »Nein, Herr, ich war es.« »Nein, ich. Ich übernehme die Verantwortung.«
»Ich weiß, dass wir ohne Befehl gehandelt haben, Vater«, beharrte Eijiro. »Ich bitte um Verzeihung.« Er verneigte sich bis zum Boden. »Ich werde mir sofort den Bauch aufschlitzen, um für mein Vergehen zu büßen.«
Schweigen trat ein. Sein Vater blickte ihn an, warf den Kopf zurück und stieß ein dröhnendes Lachen aus. »Das ist nicht nötig, lieber Junge. Du bist ein vergnügungssüchtiger Bursche. Ich kann dir versichern, dass du daran kein Vergnügen finden wirst. Ich befürchte, du würdest es als ziemlich schmerzhaft empfinden.«
Eijiro machte ein finsteres Gesicht. Gerade wollte er protestieren, er sei durch und durch ein Samurai, als ein Ruf ertönte.
»Kitaoka-don.« »-don« war die liebevolle Abkürzung des respektvollen Titels »-dono«, den alle benutzten, wenn sie ihren verehrten General ansprachen.
Eine Gruppe Uniformierter eilte auf das Gelände. An ihrer Spitze war der stämmige Oberinspektor Makihara. Für einen Moment traf ein scharfer Blick aus braunen Augen den von Eijiro.
Eijiro verließ der Mut. Als sich der Inspektor vor dem General verneigte, betrachtete er den rasierten Schädel mit dem glänzenden Haarknoten und fragte sich nervös, was der Mann wohl sagen würde.
»Besorgniserregende Nachrichten, Herr. Wir haben den Anführer der Regierungsagenten verhaftet. Ein Mann namens Nakahara.« Eijiros Wangen brannten. In der Aufregung, das Arsenal zu stürmen, hatte er die Ereignisse des Abends zuvor fast vergessen. Vielleicht würde der Inspektor Eijiros Schande vor dessen Vater und allen anderen enthüllen. Doch er war ein anständiger Mann, und es würde ihm nicht gefallen, wenn Eijiro das Gesicht verlor. Mit qualvoller Spannung hörte Eijiro zu, wie der Inspektor fortfuhr. »Der Mann war schwer zu brechen, Herr. Wir
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