Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
aufgerollten Segel im Wind. Dampf stieg aus dem Schornstein auf.
Er atmete tief durch, genoss die frische Seeluft und den Wind auf seinen Wangen. Das Wasser schillerte, und der Himmel war blauer, als er ihn je gesehen hatte. Selbst das Licht war anders, schärfer und klarer. Die Küste war von grün bewachsenen Felswänden gesäumt, hinter denen sich violette und blaue Vulkankegel in dunstiger Ferne erhoben. Möwen schossen kreischend herab.
»Fester Boden unter den Füßen wäre mir jederzeit lieber«, rief Bunkichi. Zenkichi und er hielten sich ein gutes Stück von der Reling entfernt. Den beiden Städtern war deutlich anzusehen, dass sie sich unbehaglich fühlten.
Nobu grinste. »Und wie kommt Mori ohne euch zurecht?«
»Dieser Mori. ›Schüler kommen mir nicht mehr ins Haus‹, sagte er, nachdem du weg warst. ›Schlagen sich bei mir den Bauch voll, arbeiten nie, kommen und gehen, wie’s ihnen gefällt, bei Tag oder bei Nacht …‹ Er hat aber bald einen neuen Dienstboten gefunden. Du weißt ja, wie es heißt: ›Man kann keinen Schritt tun …‹«
»›… ohne über einen Dienstboten zu stolpern.‹« Nobu war wieder in dem Holzhaus bei der Kaji-Brücke, dachte an Moris aufgeschwemmtes Gesicht und die nach Tabak stinkenden Kimonos, an die Gänge zum Badehaus, das Auswaschen des Lendenschurzes, die regelmäßigen Demütigungen … Egal. Die Arbeit hatte ihren Zweck erfüllt und ihn über den Sommer gebracht. Er hatte seinen Brüdern sogar noch Geld geben können.
Andere Erinnerungen kamen hoch, solche, die er nach Kräften zu verdrängen versucht hatte – die Treffen mit Taka, Jubeis schrecklicher Tod. Er hatte geglaubt, diese Erinnerungen für immer begraben zu haben, doch nun stiegen sie wieder an die Oberfläche. Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Und ich dachte, ich müsste es bei dem Mistkerl aushalten, bis ich alt und krumm bin.« Bunkichi schien seine Selbstsicherheit wiedergefunden zu haben. Sein großer Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, und er beugte sich verschwörerisch vor. »Dann, du glaubst es nicht, klopft es eines Tages an der Tür, und da steht irgendein Beamter, ganz schick in westlichen Klamotten – Jackett, Hose, alles, was dazugehört.« Er streckte das Kinn vor und machte eine dienstbeflissene Grimasse. »›Ich komme vom Kriegsministerium‹, sagt er. ›Suche nach einem gewissen Kuroda.‹ ›Kuroda?‹, sag ich. ›Den gibt’s hier nicht.‹ Ich zerbrech mir den Kopf, überleg, was ich angestellt habe. Oder vielleicht ist’s der junge Nobu, denk ich, wieder in Schwierigkeiten, will, dass wir ihn auslösen.
Anscheinend haben die jeden Mann im Land registriert, und Mori hat denen erzählt, dass wir für ihn arbeiten. Sie haben ihn gefragt, wie alt wir sind, und er hat ›Zwanzig‹ gesagt. Weiß nicht, woher er die Zahl hat; die müssten meine alte Mutter ausgraben und sie fragen, weil sie die Einzige ist, die es genau weiß. ›Ich bin nicht zwanzig‹, sag ich. ›Ich nicht. Höchstens achtzehn.‹ Der Beamte sagt: ›Siehst für mich eher wie zwanzig aus. Du musst Blutsteuer bezahlen.‹ ›Blutsteuer?‹, sag ich. ›Wollt ihr mein Blut, oder was?‹«
»Du weißt genau, was Blutsteuer ist.« Nobu grinste. »Das bedeutet, dass du eingezogen wirst, mein Freund, und zur Armee musst. Keiner will dein Blut.«
»Du solltest mal hören, was sie im Badehaus sagen – sie zapfen den Wehrpflichtigen Blut ab, um daraus Wein für diese blutsaugerischen Ausländer zu machen. Keine Bange, wir glauben den Quatsch nicht, wir sind ja nicht blöd. Aber Zenkichi will trotzdem abhauen, springt über die Mauer hinter dem Haus, nur haben sie da einen Polizisten abgestellt, mit diesem langen Hakenstock, den die haben.«
Zenkichi schubste Bunkichi aus dem Weg. »Den hat er mir glatt durch den Obi gehakt. War auch noch ein teurer Obi. Die haben uns rüber zur Kaserne geschleppt, die Kleider ausgezogen, uns untersucht, und dann ab mit dem Haarknoten und rein in diese Uniformen. Wir müssen nichts anderes machen, als rauf und runter marschieren, sagen sie, und wir kriegen unseren Sold und unser Essen. Klang nicht so schlecht – wenigstens am Anfang nicht. Und weißt du was?« Er neigte den Kopf zur Seite, kniff die Augen zusammen und zeigte ein wissendes Lächeln. »Stellt sich heraus, dass die Mädchen für einen Kerl in Uniform alles tun – alles. An den Sonntagen gehen wir runter nach Yoshiwara. Brauchen uns keinen Tripper mehr in den billigen Absteigen zu holen.
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