Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
eure liebe Mutter – war eine gute Kriegerin. Sie war furchtlos und geschickt mit der Schwertlanze. Sie hätte sich zweifellos dem Frauenbataillon angeschlossen, wenn sie gekonnt hätte, und wäre in die Schlacht gezogen. Oder sie wäre in der Burg gewesen, hätte für die Verteidiger gekocht, Wunden verbunden und versucht, mit nassen Matten die Brände zu ersticken, die durch einschlagende Kanonenkugeln ausgelöst wurden. Aber sie hatte Menschen zu versorgen, die von ihr abhingen – meine alte Mutter, eure Großmutter, und eure beiden kleinen Schwestern. Sie musste an sie denken.
Onkel Juémon war zu ihr gegangen, um sie zu warnen, dass der Feind in die Stadt eingedrungen sei, wenn die Feuerglocke zu läuten begann. ›Geht dann sofort in die Burg‹, wies er sie an.«
Die zitternde Stimme ihres Vaters verstummte abrupt, und er senkte den Kopf. Yasu griff nach dem Kessel, der über der Feuerstelle hing, füllte die Teekanne und schenkte ihm einen Becher ein. Ihr Vater nahm einen Schluck und räusperte sich. Als er wieder zu sprechen begann, stammelte er so sehr, dass er kaum zu verstehen war.
»›Vergeude bitte keine Zeit mit dem Versuch, uns zu überreden‹, sagte Mutter. Sie war völlig ruhig. ›Du weißt ganz genau, dass wir in der Weißen Kranichburg nicht von Nutzen sein werden. Wir würden den Verteidigern nur im Weg stehen und die kostbaren Vorräte an Nahrungsmitteln und Wasser verbrauchen. Wir haben die Armeen des Südens vor unseren Stadtmauern gesehen. Für uns ist alles vorbei. Krieg ist keine Teezeremonie. Sie werden die Stadt einnehmen und dabei keine Gnade kennen. Wir haben gehört, was sie mit den Bauern in der Umgebung gemacht haben. Sie werden uns vergewaltigen, uns töten oder als Sklaven verkaufen. Wir wissen, was wir zu tun haben, wir haben das bereits besprochen, und wir sind bereit.‹ Juémon hat ihre Worte nie vergessen. Ich habe sie genau so wiederholt, wie er sie mir erzählt hat.
Eure Großmutter und eure Schwestern waren ebenfalls ruhig, vollkommen ruhig und entschlossen. Sie waren echte Samurai, sie alle. Ihnen blieb keine Zeit, sich für den Tod umzukleiden, aber sie schrieben alle ihre Todesgedichte und vertrauten sie Juémon an. Mutter schnitt eine ihrer Haarsträhnen ab und bat ihn, dafür zu sorgen, dass sie in das Familiengrab gelegt wurde. Sie bat ihn, den letzten Schlag auszuführen, und eine nach der anderen schnitt … schnitt sich die Kehle durch.« Seine Stimme versagte. Er schluckte schwer und verstummte. Dann sprach er erneut. »Selbst die kleine Sato zögerte nicht, obwohl sie erst sieben war. Entschlossen und mit großem Mut setzte sie sich den Dolch an die Kehle. Ihr wärt beide stolz gewesen, wenn ihr hier gewesen wärt.
Eure Mutter war natürlich die Letzte. Juémon half ihnen beim Sterben, wie sie es verlangt hatte. Er schlug ihnen die Köpfe ab und setzte danach das Haus in Brand.
Ihr seht also, dass sie nicht entehrt wurden. Sie wurden nicht vom Feind getötet, sie sind nicht in den Flammen verbrannt. Sie starben wie Samurai durch ihre eigene Hand. Sie waren gute Frauen, sie alle, gute, tapfere Frauen. Ich bin stolz auf sie, und sie fehlen mir.« Die letzten Worte kamen mehr wie ein Schluchzen heraus.
Nobu sollte stolz darauf sein, dass sie mit so viel Würde gestorben waren. Das war es, worauf jeder Samurai hoffte – ein ehrbarer Tod. Aber er konnte nichts als Entsetzen und schrecklichen Schmerz empfinden. Er hatte gewusst, dass sie tot waren, hatte mit diesem Wissen gelebt und sich damit abgefunden, doch er hatte noch nie darüber nachdenken müssen, wie sie gestorben waren. Die alte Wunde war wieder aufgebrochen, die Erinnerung an seinen Verlust war zu schmerzhaft. Stöhnend senkte er den Kopf auf die Knie und hielt sich die Ohren zu.
Die Hütte kam ihm zu klein vor. Fast erstickt vom Rauch, sprang er auf und lief nach draußen. Doch als er auf die Knie fiel und in tiefen, krampfhaften Zügen die kühle Herbstluft einatmete, ging ihm auf, dass genau hier die Stelle war, diese geschwärzte Fläche verbrannter Erde. Hier waren sie gestorben. Der Boden war mit ihrem Blut durchtränkt.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Yasu war ihm hinaus gefolgt. »So benimmt man sich nicht. Unsere Mutter, Großmutter und unsere Schwestern haben Tapferkeit gezeigt, und das sollten wir auch.« Seine Stimme wurde weicher. »Du bist immer noch jung. Wenn du Krieg erlebt hast, wenn du gesehen hast, wie deine Kameraden niedergemäht werden wie Reis unter der
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