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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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wird. Wenn unten im Süden Unruhen ausbrechen, werden wir die Ersten sein, die sich freiwillig melden. Für die Armee werden sie alle Rekruten brauchen, die sie finden können.«
    »Und für die Polizeitruppen auch. Ich bin froh, das zu hören.« Der alte Mann streckte den Rücken durch, und er glich mehr dem stolzen Krieger, an den Nobu sich erinnerte. In seinen Augen glitzerte es. »Und diese verräterische Schlange Kitaoka. Was ist mit dem?«
    »Hat sich nach Kyushu davongemacht und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Anscheinend steckt er hinter diesen Unruhen. Die Satsuma sammeln sich um ihn. Kein einziger Kadett aus Satsuma ist nach den Ferien in die Kaserne zurückgekehrt. Stimmt’s nicht, Nobu?«
    Nobu grunzte zustimmend. Einerseits wusste er zu viel und andererseits zu wenig über Kitaoka. Er wagte es nicht, sich dazu zu äußern.
    »Wir haben auch etwas zu berichten.« Die Stimme ihres Vaters war düster geworden. »Euer Onkel Juémon war hier.«
    »Onkel Juémon?«
    In Nobus Kindheit war Onkel Juémon eine Legende gewesen. Der schneidige jüngere Bruder ihres Vaters war ein berühmter Schwertkämpfer gewesen und pflegte, wenn er nicht im Krieg war, nachts vor die Stadtmauern zu gehen und Fremde in Schwertkämpfe zu verwickeln, nur um in Übung zu bleiben, hatten sich die Leute erzählt. Als Kind hatte Nobu beim Gedanken an all die am Morgen herumliegenden Leichen gelacht und davon geträumt, genauso zu werden, wenn er groß war.
    Juémon war mit modernen Waffen genauso geschickt. Er hatte in vielen Schlachten gekämpft und während der Belagerung der Burg eine Truppe angeführt, die wagemutige Vorstöße hinter die feindlichen Linien ausführte. Als sich die Burg ergab, hatten die siegreichen Belagerer nach Juémons Kopf gesucht, aber er war verschwunden. Niemand wusste, was aus Juémon geworden war, und wenn doch, wurde nicht darüber gesprochen. Er war nicht unter den Gefangenen, die nach Tokyo gebracht wurden, und landete auch nicht im Exil der eiskalten Wüstenei von Tonami. Man sagte, er habe sich versteckt, sei umgekommen oder irgendwo in Gefangenschaft geraten. Dann vergingen die Jahre, und niemand sprach mehr von ihm.
    Er war Nobus Lieblingsonkel gewesen, hatte die unglaublichsten Geschichten erzählt, mit ihm Streiche ausgeheckt und ihm das Kämpfen beigebracht. Zum letzten Mal hatte Nobu ihn an dem Tag gesehen, als seine Mutter ihn zum Pilzesammeln auf den Reiherhügel geschickt hatte. Onkel Juémon war gerade von der Front zurückgekehrt. Er war vorbeigekommen und hatte Nobu nachgewinkt, als der mit seiner Tante aufgebrochen war.
    Von Juémons Rückkehr zu erfahren, war aufregend. Und doch wirkte ihr Vater seltsam bedrückt. Nobu runzelte die Stirn, versuchte, dessen Gesichtsausdruck im schwachen Licht zu deuten.
    »Er lebt also?«
    »Was hättest du sonst von einem Mann wie ihm erwartet? Er hat sich in den Bergen versteckt. Als er hörte, dass wir nach Aizu zurückgekehrt sind, kam er zu uns herunter.«
    »Mitten ins Wespennest.«
    »Er hat jetzt einen neuen Namen, hat sich den Haarknoten abgeschnitten und ist stämmiger denn je. Ihr würdet ihn nicht wiedererkennen.«
    »Bis auf das verrückte Funkeln in seinen Augen.« Yasu konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    »Er war auf dem Weg nach Tokyo. Vielleicht werdet ihr ihn dort sehen.« Nobus Vater griff nach dem Schürhaken und schob die glühende Holzkohle in der Feuerstelle zusammen, bis sie wieder Funken sprühte. Dann beugte er sich vor und wärmte seine Hände an den Flammen. »Er kam, um mir etwas zu erzählen«, fügte er hinzu. Seine Stimme war so leise geworden, dass Nobu sich anstrengen musste, ihn zu verstehen.
    Stille trat ein, nur unterbrochen vom Knistern des Feuers und dem Zischen der Kerzen. Von draußen wehte der Geruch von gekochtem Reis herein. Die beiden Söhne warteten respektvoll darauf, dass ihr Vater fortfuhr.
    »Über eure Mutter, eure Großmutter und eure Schwestern. Was mit ihnen geschehen ist.«
    Nobu starrte angestrengt ins Feuer. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Er wusste schon genug von dem, was passiert war, und wollte nicht noch mehr erfahren.
    »Wir Männer kämpften alle an der Front«, fuhr sein Vater stockend fort. »Keiner von uns war hier, als die Stadt angegriffen wurde. Aber wir hörten alle, was geschah. Wenn die Feuerglocke läutete, sollten die Familien der Samurai Zuflucht in der Burg suchen. Doch viele entschlossen sich zu sterben.« Seine Worte kamen nur mühsam. »Mutter –

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