Die Tochter des Schmieds
Tochter des
Kutschers Faruk?
– Diese junge Frau, die drei Brüder hat. Die da vorne bei der gelben Moschee wohnen?
– Ja, genau die. Ihr Vater wird sie uns bestimmt geben.
– Wieso? Wieso sollte er das tun? Warum sollte er seine Tochter mit einem Witwer verheiraten? Nur weil Timur etwas Geld hat?
Warum sollte Faruk seine Tochter jemandem geben, der drei kleine Kinder hat, die man großziehen muß?
Zeliha schüttelt langsam den Kopf.
– Du kennst die Geschichte nicht?
Hülya zieht fragend die Augenbrauen zusammen.
– Sie war schon mal verheiratet, das mußt du doch wissen.
– Nein, sagt Hülya.
– Sie haben sie verheiratet, als sie vierzehn war, und dann –
Zeliha wirft einen kurzen Blick auf die Kinder, doch die scheinen nicht zuzuhören.
– dann hat sich herausgestellt, daß er ihm nicht steht. Faruk hat sie zurückgeholt und den Leuten gesagt: Wenn ihr euren Sohn
irgendwie heilen könnt, könnt ihr sie gerne wiederhaben, aber bis dahin bleibt sie bei mir.
– Sie ist noch …?
Zeliha nickt.
– Ich werde gleich morgen abend zum Kutscher gehen.
– Es wäre gut für die Kinder, dann hätten sie wenigstens ein Mütterchen.
|63| Einige Zeit später kommen die Männer von der Beerdigung. Timur nimmt seine Töchter auf den Arm, und Gül findet, daß er ganz
anders riecht als sonst. Oft schon hat sie den Schweiß ihres Vaters gerochen, wenn er den ganzen Tag in der Glut des Schmiedeofens
gearbeitet hatte. Sie weiß, wie er riecht, wenn er im Stall gewesen ist oder wenn er den Garten gedüngt hat mit der Scheiße
aus dem Plumpsklo, und nie hat Gül den Geruch als unangenehm empfunden, doch jetzt riecht ihr Vater sauer. Nach sauer gewordenen
Tränen.
Gül hat vorhin nicht alles verstanden, aber genug, um ihrem Vater jetzt zu sagen:
– Papa, sie haben ein Mütterchen für uns gefunden.
Für einen kurzen Moment kommt Glut in die Augen des Schmieds. Doch auch die Glut verwandelt sich in Tränen, die leise seine
Wangen herunterlaufen. Er läßt Gül auf den Boden herab, und ohne etwas zu sagen wendet er sich ab und geht Richtung Hof. Gül
folgt ihm ohne ein Wort. Sie sieht, wie ihr Vater die Tür zum Klo aufmacht, und als er drinnen ist, hockt sie sich vor die
Tür und sagt den Satz noch mal:
– Papa, Oma und Tante Hülya haben ein Mütterchen für uns gefunden.
– Was machst du eigentlich hier draußen, fragt Timur, als hätte er nicht gemerkt, daß sie ihm gefolgt ist. Wieso bist du nicht
drinnen?
Gül sagt nichts, sie hockt da, wie sie es in den nächsten Tagen noch oft tun wird. Sie wird fast immer im selben Raum sein
wie ihr Vater. Wenn er auf das Klo geht, wird sie ihm folgen und vor der Tür warten, bis er fertig ist.
Wenn er sich wäscht, wird sie vor der Tür des kleinen Badezimmers sitzen, in das man das Wasser noch hereintragen muß, um
es dort im Ofen zu erhitzen. Sie wird erschrocken darüber sein, daß es ihm gelingt, den Geruch der Tränen fortzuwaschen.
Gül wird ihrem Vater auf Schritt und Tritt folgen, sie wird sehen, wie er morgens beim Frühstück unvermittelt aufhört zu kauen
und wie ihm dann die Tränen die unrasierten Wangen |64| streicheln, wie er aus dem Klo kommt mit noch feucht glänzenden Spuren im Gesicht, sie wird hören, wie die Tränen während
des Gebets auf den Gebetsteppich tropfen. Es wird ihr später vorkommen, als hätte sie ihn in dieser Zeit nie trockenen Auges
gesehen und als hätte er kaum ein Wort gesprochen.
Sibel ist sehr krank, und als Zeliha beim Kutscher Faruk sitzt und für ihren Sohn um die Hand seiner Tochter anhält, ist sie
versucht, ihre jüngste Enkelin ganz zu verschweigen. Das wäre dann ein fremdes Kind weniger, auf das Arzu aufpassen müßte,
das wäre ein Grund mehr für Faruk, seine Tochter zum zweiten Mal zu verheiraten. Doch sie sagt:
– Drei Mädchen, sechs Jahre, vier Jahre und zwei Monate. Die Jüngste ist sehr krank, wir glauben nicht, daß sie durchkommt.
Zwei Kinder, gehen wir doch einfach von zwei Kindern aus.
– Ich werde es mir überlegen, sagt Faruk.
Falls er und seine Tochter zustimmen sollten, erbittet er sich Stillschweigen aus Gründen der Pietät, die Zeliha im Moment
nicht zu interessieren scheinen. Sie muß sich um ihren Sohn sorgen, und wer soll die Kinder großziehen. Etwa sie selber? In
ihrem Alter? Sie hat genug davon.
Vier Tage, vier lange Tage kämpft Sibel um Leben und Tod, sie ist ein kleines, blasses Kind, der Babyspeck ist fast verschwunden.
Hülya
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