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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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trauen
     zu fragen.
    Zeliha sitzt auf einem Kissen, den Rücken an die Wand gelehnt, und trinkt Tee.
    |104| – Wer ist gekommen? fragt sie, als Gül schon im Türrahmen steht.
    – Ich bins, Großmutter, sagt Gül, und Hülya fügt hinzu:
    – Es ist Gül.
    Gül weiß nicht, was sie tun soll, sie war seit dem Vorfall mit dem getrockneten Traubensaft nicht mehr allein hier. Doch ehe
     sie sich etwas überlegen muß, sagt Tante Hülya:
    – Ich fülle gerade Paprika in der Küche, willst du mir ein wenig helfen, mein Schatz?
    In der Küche flüstert Hülya Gül zu:
    – Sie sieht sehr schlecht in letzter Zeit. Gott bewahre, aber ich fürchte, sie wird blind werden, wenn es so weitergeht. Vorgestern
     hat sie Timur nicht erkannt. Dabei ist er der einzige, der den Türrahmen ausfüllt.
    Gül hilft ihrer Tante, Paprika zu füllen, und hört dabei zu, wie Hülya von dieser oder jener Nachbarin erzählt, daß der Winter
     dieses Jahr wohl mild bleiben wird, daß sie sich schon freut, sie im Frühling im Sommerhaus zu besuchen. Sie erwähnt Yücel
     mit keinem Wort. Das einzige, was Gül nach einer halben Stunde fragt, ist:
    – Kann ich wieder raus?
    – Ja, aber wasch dir vorher die Hände.
    Gül geht zu dem einzigen Wasserhahn im Haus, dreht ihn auf, nimmt die Olivenseife in die Hand. In Timurs Haus gibt es keinen
     Hahn, selbst in der Stadt hat nicht jeder fließendes Wasser. Aber es gibt in jedem Viertel mindestens einen öffentlichen Wasserhahn.
     Gül wird manchmal mit dem Kanister Wasserholen geschickt, was sie immer gern tut, weil sie dort andere Kinder trifft. Es ist
     nicht wie im Sommerhaus, wo jeder einen Brunnen hat und man den schweren Schwengel der Pumpe bewegen muß. Während einer der
     Kanister unter dem dünnen Wasserstrahl steht, spielen die Kinder Fangen, Himmel und Hölle, Seilspringen oder sogar Verstecken,
     und Gül vergißt darüber oft die Zeit.
    Einmal hatte Gül ihre beiden Kanister in die Schlange gestellt, und als sie das nächste Mal hinsah, waren die Kanister |105| verschwunden. Sie suchte überall, doch die Kanister waren nicht aufzufinden. Schließlich ging sie heim. Wie sollte sie es
     bloß ihrem Vater erklären. Timur empfing sie mit den Worten:
    – Stundenlang warten wir hier auf Wasser, ist dir das klar? Und Madame spielt schön Fangen mit den anderen Kindern. Habe ich
     dich spielen geschickt, sag selbst, habe ich dich spielen geschickt? Jetzt habe ich das Wasser selber geholt.
    Er schüttelte den Kopf.
    – Du bist nicht mehr klein. Noch mal will ich so etwas nicht erleben, ist das klar? … Ob das klar ist?
    Gül nickte.
     
    Während Timur nach dem Abendessen eine Zigarette raucht, sagt Arzu zu den Kindern:
    – Erzählt niemandem etwas über Tante Hülya. Wenn ihr gefragt werdet, sagt einfach, ihr wüßtet nichts.
    Aber ich weiß wirklich nichts, will Gül sagen, doch sie hält den Mund.
    – Wir wollen nicht zum Gespött der Leute werden, sagt ihre Mutter.
    Diesen Satz hat Gül schon sehr oft gehört. Melike hört ihn noch öfter. Sie hat sich in der Schule mit Sezen, der Tochter eines
     Arztes, angefreundet und ist dort oft zu Besuch. Ärzte sind reich und angesehen in der kleinen Stadt, während es sich langsam
     rumspricht, daß es dem Schmied nicht mehr so gut geht, seit die Dorfbewohner ihre Geschäfte lieber mit Tufan machen, von dem
     man sich erzählt, daß er seinen Gewinn mittlerweile in Goldmünzen anlegt.
    Timurs Geld ist dahingeschmolzen, bald wird er noch ein Kind mehr ernähren müssen, doch, dem Herrn seis gedankt, sie darben
     nicht, noch immer gibt es jeden Morgen Suppe, es fehlt nicht an Eiern, Wurst und Dörrfleisch. Er kann das Geld nur nicht mehr
     mit vollen Händen ausgeben, wie er es früher getan hat. Arzu scheint nicht so gut mit Geld umgehen zu können wie seine geliebte
     Fatma, und Timur hat es noch nie gekonnt. Genausowenig wie er die Dorfbewohner davon |106| überzeugen konnte, an ihn zu verkaufen, obwohl er die besseren Preise zahlte. Tufan hatte Gerüchte gestreut, er würde das
     Geld nur versprechen, aber am Ende sowieso nicht zahlen können, denn er würde mit ihrem Geld nach Istanbul fahren und sich
     die Spiele von Beşiktaş ansehen. Da half es auch nicht, daß Timur anbot, die Bauern in bar zu bezahlen. Die leeren Worte waren
     mehr wert als seine Scheine, weil er es nicht verstand, gegen das Gerede anzugehen.
    Wenn Melike zu Sezen geht, sagt ihre Mutter also immer:
    – Und iß dort nicht. Dann glauben die, du würdest zu Hause nichts

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