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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wären behaart wie seine Arme.
    Aber da wachsen nicht nur wenige Haare, sondern die Haut ist schuppig und gerötet. Jeder Rotton ist vorhanden, von einem tiefen
     Rosé bis zu dunklem Flieder, und Timur sagt zu seiner Tochter:
    – Es juckt so fürchterlich, könntest du bitte meine Beine kratzen?
    Zuerst ekelt Gül sich vor dieser Farbenpracht und weiß nicht genau, wie sie kratzen soll. Timur gibt durch Seufzer schnell
     zu verstehen, was ihm Linderung und Vergnügen bereitet. Gül spürt die trockene, rissige Haut, sie sieht die Schuppen auf den
     Boden rieseln und ist erstaunt, daß die Beine ihres Vaters fast noch rauher sind als seine Hände. Doch es bereitet ihr eine
     Befriedigung, ihren Vater unter ihren Händen so behaglich schnurren zu hören, und schon bald hat sie sich auch an die Farben
     gewöhnt.
    Der Tag, an dem der erste Schnee fällt, ist der erste Tag, an dem Timur sich seine Waden von seiner Tochter kratzen |109| läßt, und es wird schon sehr bald zu einem Ritual werden. Denn der Schmied weigert sich, ein zweites Mal zum Arzt zu gehen.
    Er hat kein Vertrauen in die Ärzte. Nicht nur, daß seine Schwester trotz der Behandlung nicht richtig gehen kann und so stark
     schielt, daß er manchmal glaubt, sie würde fremden Männern auf die Hosen gucken, seine erste Frau ist unter der Aufsicht von
     Ärzten gestorben.
    Als er das erste Mal einem Arzt seine Ekzeme gezeigt hat, nachdem seine Frau und seine Schwester ihm lange genug zugeredet
     hatten, hat er eine übelriechende Salbe bekommen. Die sollte er morgens und abends auf seine Waden schmieren, und sie hat
     gebrannt, als würden sich alle Funken des Tages auf seinen Beinen sammeln. Zwei Wochen lang hat er das gemacht, und als keine
     Linderung eingetreten ist, hat er die Salbe weggeschmissen und geschimpft, mit so etwas würde er nicht mal seine Kühe behandeln.
    Also läßt er sich die Waden von seinen Töchtern kratzen, zuerst von Gül, später auch von Melike und Sibel. Wenn sie ein wenig
     Geld haben möchte, fragt Melike ihren Vater in den unpassendsten Momenten, ob sie ihm nicht mit ihren Fingernägeln Erleichterung
     verschaffen soll. Häufig schickt Timur sie weg, weil Melike oft schon nach fünf Minuten keine Lust mehr hat oder sehr bald
     anfängt, ihn blutig zu kratzen. Er schickt sie weg und wartet auf Gül oder auf Sibel, von der er sich am liebsten kratzen
     läßt. Sibel läßt ihre Finger mit der gleichen Versunkenheit über die Waden ihres Vaters gleiten, mit der sie Hausaufgaben
     macht. Sie kann sich voll und ganz konzentrieren, und manchmal bewegen sich ihre Lippen, und sie murmelt lautlos etwas vor
     sich hin. Timur muß immer lächeln, wenn er den entrückten Blick seiner Tochter und die sich leise bewegenden Lippen sieht.
     
    Timur mag Kühe und Esel lieber als Pferde, die er fast ein wenig verachtet, weil sie sich so knechten lassen von den |110| Menschen. Ein Pferd gehorcht fast jedem, der reiten kann. Bei seinem störrischen Esel ist das schon anders, und er hat eine
     Kuh, die noch eigensinniger ist als sein Esel. Die will morgens nicht aus dem Stall und abends nicht von der Weide, sie galoppiert
     auf dem Heimweg und biegt falsch ab. Obwohl sie den Weg genau kennt, wenn man Timur glauben will. Eines Tages wird es dem
     Schmied zuviel, und als er diese Kuh von der Weide heimtreibt und sie wieder bei jeder Abzweigung in die falsche Richtung
     rennt, brüllt er los:
    – Jetzt reicht es mir aber, ich habe die Schnauze voll, morgen werde ich dich verkaufen. Eine bessere Kuh als dich finde ich
     überall.
    Und den Rest des Weges läuft die Kuh brav neben dem Schmied her und weint. So jedenfalls erzählt Timur Gül die Geschichte.
     Es stimmt zumindest, daß die Kuh danach nicht mehr so bockig ist.
    Seit diesem Tag haben die Kuh und Timur ein Spiel. Timur hält seiner Lieblingskuh den Kopf hin, und die Kuh stupst ihm mit
     der Nase die Mütze herunter. Timur fängt sie auf und lacht und tätschelt sein Mädchen, wie er die Kuh nennt.
    Bei diesem Spiel verletzt die Kuh ihn eines Tages. Ihr kurzes Horn hinterläßt eine tiefe Schramme auf Timurs Wange, doch Timur
     lacht auch darüber. Abends, als seine Frau erfährt, wie es passiert ist, sagt sie:
    – Was spielst du auch mit den Kühen? Du bist einfach zu gut zu ihnen, du verwöhnst sie, und so danken sie es dir. Wie kann
     man nur in eine Kuh vernarrt sein.
    – Davon verstehst du nichts, sagte Timur in einem Ton, der klarmacht, daß das Thema beendet ist.
    Arzu sagt

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