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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihrer Mutter, die sie ganz
     kurz ansieht und dann mit dem Holzstab, mit dem sie Teig ausrollt, gegen Güls Beine schlägt. Sie erwischt sie knapp unterhalb
     der Kniescheiben, und Gül bleibt die Luft weg. Sie hört, wie ihre Mutter sagt:
    – Wo ist der Joghurt? Ich habe dir doch verboten, vom Joghurt zu essen. Der war für den Besuch heute abend, geh sofort neuen
     holen.
    Gül hört ihre Stimme wie von weit weg. Sie hat den Joghurt nicht gegessen, sie hat nicht mal genascht, und nun ist da nicht
     nur der Schmerz in ihren Knien, der sich im ganzen Körper ausgebreitet hat, jetzt ist da auch noch der Schmerz, |102| für etwas bestraft worden zu sein, das sie gar nicht getan hat. Und der ist viel größer als der andere.
    Vor solchen Schmerzen, denen sie keine Namen geben kann, hat sie Angst.
    Ihr Vater wollte sie nur einmal schlagen. Es war gegen Ende des vergangenen Sommers, eins der Mädchen aus der Nachbarschaft
     hatte ihrer Mutter Henna stibitzt und es unter ihren Freundinnen verteilt. Um sich in Ruhe die Hände und Nägel färben zu können,
     hatte Gül sich damit in ein Gebiet voller Felsgeröll oberhalb der Gärten verzogen. Wie lange sie schon dagesessen und versucht
     hatte, genug Spucke zusammenzukriegen, damit aus dem Pulver eine Paste wurde, begriff sie erst, als sie ihren Vater sah. Sie
     sprang auf und freute sich, obwohl ihr schnell klarwurde, daß sie schon viel zu lange hier saß. Sie hatte nicht nur Spucke
     in ihrem Mund gesammelt, sie hatte sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn sie sich in der Nacht vor ihrer Hochzeit die
     Hände mit Henna färbte, wie es Brauch war. Sie hatte sich ein großes Fest und einen gesichtslosen Ehemann vorgestellt, ihre
     Schwestern in schillernden Kleidern, sich selbst in einem strahlenden Weiß, sie hatte sich weggeträumt und das Mittagessen
     verpaßt. Zu Hause hatten sie sich Sorgen gemacht, und nun suchte ihr Vater sie.
    Melike konnte, sooft sie wollte, nicht zum Mittagessen kommen, ihre Eltern hatten sich längst daran gewöhnt, und manchmal
     war Gül neidisch deswegen. Und sie fand es ungerecht, daß zwischen den Augenbrauen ihres Vaters nun eine Zornesfalte war,
     und als er sich bückte, um einen Stock aufzuheben, verstand Gül, was ihr blühte, und fing an zu rennen. Sie hörte, wie ihr
     Vater hinter ihr auch loslief, und sie zwängte sich zwischen zwei eng nebeneinander stehende Felsen, durch die ihr Vater nicht
     paßte. So bekam sie einen Vorsprung, der kaum aufzuholen war.
    Melike wird manchmal von ihrem Vater geschlagen, sie kriegt Ohrfeigen oder auch einen Stockschlag auf die Rückseiten der Oberschenkel.
     Doch wenn er sie nicht in seinem Zorn erwischt, vergißt er es meistens auch wieder. Darauf |103| hoffte Gül, als sie heimging, daß sein Zorn verrauchen würde, auf dem Pferd, in der Schmiede oder sonstwo. Und als sie sich
     abends sahen, der Schmied und seine Tochter, war es tatsächlich so, als wäre an diesem Nachmittag nichts geschehen.
     
    – Dann muß es eben sein, hört Gül ihren Vater eines Abends zu Hülya sagen, dann muß es eben sein.
    Mehr hört Gül nicht, und mehr erzählt ihr auch niemand. Drei Tage später zieht Hülya zur Großmutter, wie Gül zufällig auf
     der Straße aufschnappt. Die Nachbarinnen tuscheln, unentwegt scheinen sich die Gespräche um dieses Thema zu drehen, und Gül
     fragt ihre Mutter, weil sie nicht versteht, was geschehen ist. Wenn Gül an Onkel Yücel denkt, sieht sie ihn vor sich, wie
     er Sibel auf seinen Füßen schaukelt, mit einem zufriedenen Gesicht, dem die Pausbacken eine gemütliche Freundlichkeit geben.
     Onkel Yücel und Tante Hülya haben sich getrennt, das begreift Gül, doch sie hat nicht gewußt, daß man so etwas tun kann. Es
     scheint etwas Unerhörtes zu sein.
    – Mutter, sagt Gül also, Mutter, was ist mit Tante Hülya und Onkel Yücel?
    – Steck deine Nase nicht in die Sachen von Erwachsenen. Davon verstehst du nichts, dafür bist du noch zu klein, sagt Arzu
     und schickt sie fort.
    Gül geht raus, aber nicht spielen, wie ihre Mutter ihr nahegelegt hat, dazu ist es ohnehin viel zu kalt. Gül geht zu ihrer
     Großmutter, die ihr mit ihrer tiefen, dröhnenden Stimme immer noch unheimlich ist. Tante Hülya öffnet die Tür, schielt Gül
     an. Oder auch ein Kind, das sie auf der Straße sieht. Sie streicht ihrer Nichte über den Kopf.
    – Komm rein.
    Gül bleibt einen Moment stehen und betrachtet den steifbeinigen und unbeholfenen Gang ihrer Tante. Sie wird sich nicht

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