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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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des Bruders ihrer Mutter. Er ist nur ein paar Jahre älter als Gül, und Gül weiß, daß er bei einem
     Friseur in die Lehre geht und mit seinen Fersen immer auf den Schaft seiner Schuhe tritt, so daß die Schuhe schon bald wie
     Pantoffeln aussehen. Es gibt nicht wenige Männer, die das machen, aber die meisten sind sehr viel älter als Fuat.
    Kurz bevor Gül erneut einschläft, glaubt sie, Onkel Yücels Stimme zu hören. Sie hat ihn nicht mehr gesehen, seit Hülya wieder
     bei ihrer Großmutter wohnt. Abermals fällt ihr ein, wie er Sibel auf den Füßen geschaukelt hat. Am liebsten würde sie aufstehen
     und zu ihm hinlaufen. Doch sie schafft es gerade mal, sich umzudrehen, und schlummert ein.
    Als sie aufwacht, weil sie Schmerzen hat, ist es Nacht, alles scheint zu schlafen. Gül fühlt sich schwach und krank, und unter
     ihrer Stirn pocht es dumpf. Sie braucht die Tabletten. Sie braucht die Tabletten, um gesund zu werden. Wahrscheinlich sind
     sie in der Küche im Schrank. Um zur Küche zu kommen, muß sie durch das Zimmer, in dem ihre Eltern schlafen. Sie nimmt die
     Taschenlampe nicht mit, es ist Vollmond, das Licht wird reichen.
    Ihre Mutter wird wach, als sie leise die Tür öffnet. Gül sieht ihren kleinen Bruder neben ihr und hört, wie sie flüstert:
    – Was ist?
    – Medikamente, antwortet Gül in der gleichen Lautstärke.
    |121| Arzu deutet mit dem Kinn zur Küche, und Gül geht hinüber und nimmt sich die Tabletten aus dem Schrank. Ihre Mutter ist sehr
     ordentlich, sie muß nie irgend etwas suchen. Und so weiß Gül, daß die Tabletten in dem grünen Holzschrank mit dem Drahtgitter
     sein müssen, wahrscheinlich unten links. Da gehört so etwas hin.
    Es ist wichtig, daß man alles wieder an seinen Platz legt, sagt Arzu immerzu. Und Gül findet, daß sie recht hat. Die Tabletten
     kommen ihr größer vor, als wären sie gewachsen, seit sie sie das letzte Mal geschluckt hat. Sie gießt sich ein Glas Wasser
     aus der Karaffe ein und schluckt mit Überwindung die Tablette hinunter. Dann geht sie zurück ins Bett. Bald darauf wacht sie
     noch mal auf, es tut immer noch weh, und Gül schleicht in die Küche und schluckt noch eine von diesen großen Tabletten.
    Sehr schwerfällig macht sie irgendwann die Augen auf, weil ihr jemand ins Gesicht schlägt. Ihre Lider scheinen aufeinanderzukleben.
     Ihre Wangen werden naß, und jemand betupft ihre Stirn. Gül möchte am liebsten in Ruhe gelassen werden, sie will schlafen,
     alles fühlt sich so schwer an, sie will sich umdrehen und schlafen.
    Gül schließt die Augen und kann Stimmen hören, die ihr bekannt vorkommen, vielleicht stellen sie Fragen, doch sie kann jetzt
     unmöglich ihre Zunge bewegen, um eine Antwort zu geben. Selbst wenn sie die Frage verstanden hätte. Sie brummt nur als Antwort,
     sie hört nicht, wie ihre Mutter sagt:
    – Siehst du, hättest du nicht den Arzt geholt, wäre das nicht passiert. Was für eine Idee, vor dem Morgengrauen einen Arzt
     zu holen, damit die Nachbarn ihn nicht sehen. Wenn sie jetzt an diesen Tabletten krepiert, was wirst du dann machen?
     
    Als Gül das nächste Mal wach wird, ist es hell, es scheint Vormittag zu sein, und sie hört Onkel Abdurahmans Stimme:
    – Ich wollte mal sehen, wo meine Kleine geblieben ist.
    Dienstag, heute muß Dienstag sein, der Tag, an dem sie mit Onkel Abdurahman lernt. Die Nase hat sie sich am Sonntag |122| gebrochen, oder nicht? Wo ist die Zeit geblieben? Gül hat Hunger, großen Hunger, und sie hat keine Lust zu lernen. Im Moment
     nicht und sonst eigentlich auch nicht. Nach dem Sommer wird sie in die fünfte Klasse gehen, und danach bekommt sie ihr Grundschuldiplom.
     Sie kann lesen, rechnen, schreiben, sie findet es nicht schlimm, daß sie mit den osmanischen Sultanen immer durcheinanderkommt.
     Außerdem mag sie das Mädchen nicht, das Onkel Abdurahman dieses Jahr bei sich hat.
    Wie viele andere alleinstehende Männer oder junge Paare mit ganz kleinen Kindern geht Onkel Abdurahman jedes Jahr vor dem
     Sommer auf ein Dorf, um eine arme Familie zu finden, deren kleine Tochter er den Sommer über ernährt und die ihm dafür den
     Haushalt im Sommerhaus führt.
    – Gül ist krank, sagt Arzu, aber Gül ruft:
    – Hier.
    Ihre Stimme ist nur ein heiseres Krächzen.
    Onkel Abdurahman kommt herein, und als er Gül sieht, verraten seine Augen nichts.
    – Oh, du bist krank, mein Mädchen, sagt er. Da wird mich die junge Frau wohl erst nächste Woche wieder besuchen?
    – Ja, sagt

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