Die Tochter des Schmieds
auch so ein Ding schmieden, damit wir nicht immer Kohlen schleppen müssen?
– Heizung, sagte er lachend, Schwester, das war eine Heizung. Die ist innen hohl, und da läuft warmes Wasser durch. Das warme
Wasser kommt aus einem Ofen. Einem Ofen, den man heizen muß.
– Ach so, sagt die Frau.
Woher soll sie das wissen? Einmal in ihrem Leben hat sie ein Eisending an der Wand gesehen, das den Raum heizt. Sie dreht
sich um und geht ohne ein Wort des Abschieds.
– Wie gerne hätte ich mal ne Heizung gemacht, schließt der Schmied jedesmal seine kurze Erzählung.
In diesem Jahr ziehen sie schon Ende April ins Sommerhaus. Die Tage sind warm und sonnig, in den Mittagspausen spielen viele
Kinder auf den Straßen, nur wenige wollen heim, um etwas zu essen oder sich auszuruhen. Melike geht manchmal mit Sezen mit,
Sibel setzt sich in eine Ecke der Schmiede und zeichnet ihren Vater bei der Arbeit, nachdem sie ihre Aufgaben gemacht hat.
Sie weiß, daß sie sich abends nicht konzentrieren kann. Melike und Gül sitzen nach dem Abendessen vor ihren Heften, die Druckluftlampe
gibt nicht genug Licht, sie können ihre eigene Schrift kaum lesen, Nalan singt die Lieder aus dem Radio mit, Emin quengelt,
oder ihre Mutter läßt sie noch den Abwasch machen. Manchmal malt Sibel in den Mittagspausen Bilder für andere Mädchen, die
nicht gut zeichnen können, aber im Kunstunterricht etwas vorzeigen |145| müssen. Die ersten beiden Male hat die Lehrerin den Betrug bemerkt, doch nun malt Sibel die Bilder immer so, daß die Lehrerin
nicht erkennt, von wem sie sind.
Es ist Güls letztes Jahr, dann wird die Volksschule beendet sein, doch nicht mal an einem entlegenen Ufer ihres Verstandes
taucht die Frage auf: Und danach?
Was sie weiß, ist, daß sie Paßfotos braucht für ihr Abschlußzeugnis. Also geht sie mittags zu ihrem Vater in den Laden. Sie
würde ihm ja die Waden kratzen, aber sie weiß, daß der Fotograf viel mehr kostet, außerdem hat ihr Vater heute viel zu tun.
Sie stellt sich still in die Tür. Kurz dreht der Vater ihr den Kopf zu.
– Was willst du? fragt er.
Sie steht nicht in der Tür, weil sie ihm zuschauen möchte.
– Bald gibt es Abschlußzeugnisse, sagt Gül, da brauchen wir Fotos. Kannst du mir Geld für Paßfotos geben?
– Ja, sagt ihr Vater, gleich.
Eine Minute später ist er wieder in seine Arbeit versunken. Gül rührt sich nicht vom Fleck. Sie wartet. Fünf Minuten, sechs,
sieben, zehn, eine Viertelstunde.
Er will mir das Geld nicht geben, denkt sie, dreht sich leise um und geht. Ohne zu wissen, wohin sie will. Kurz darauf ist
sie auf der Hauptstraße der Kleinstadt. Woher soll sie jetzt das Geld bekommen? Vielleicht kann sie Melike fragen, ob sie
es von Sezen borgen kann. Aber wie soll sie es dann zurückzahlen? Tante Hülya und ihre Großmutter kann sie auch nicht bitten.
Sie wird kein Abschlußzeugnis bekommen, weil sie keine Fotos hat. Billige Plastikschuhe hat sie an den Füßen, Plastikschuhe
und Gefängnissocken. Sie hat keine Strickjacke wie viele der anderen Mädchen, und sie bekommt nicht mal Geld für Fotos. Gül
würgt ihre Tränen die Kehle hinunter, als sie hinter sich schnelle Schritte hört.
– Stop.
Gül dreht sich um. Schwer atmend bleibt ihr Vater vor ihr stehen.
– Du bist ein Esel, schimpft er, du bist ein Esel, du solltest |146| eigentlich mal eine ordentliche Tracht Prügel kriegen, dann würdest du vielleicht zu Verstand kommen. Herrgott, Melike hätte
sich das Geld in der Zeit zehnmal von mir geholt. Du mußt lernen, den Mund aufzumachen.
– Hab ich doch, murmelt Gül.
Ihr Vater ist aufgebracht, sein Atem beruhigt sich nicht, die Leute drehen sich um nach der lauten Stimme und sehen dann diskret
weg.
– Natürlich bekommst du das Geld, du Dummkopf. Du mußt den Mund aufmachen, verstehst du? Sonst wirst du immer zu kurz kommen
und dich dann ärgern.
Er kramt einen Fünfliraschein aus seiner Tasche und hält ihn Gül hin. Sie schüttelt den Kopf.
– Nimm das Geld.
– Ich brauch keine Fotos.
– Nimm, sagt ihr Vater und will ihr das Geld zustecken.
Gül weicht einen Schritt zurück. Und schüttelt wieder denKopf. Die Tränen, die eben noch hinter ihren Augen saßen und die
sie die Kehle runtergewürgt hatte, sind verschwunden.
– Mein Mädchen, jetzt mach keinen Unfug.
Gül starrt auf den Boden. Ihr Vater kommt den Schritt auf sie zu und sagt:
– Wenn du jetzt nicht dieses Geld nimmst, kriegst du eine mit dem
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