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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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streicht ihr
     manchmal durch die Haare. Es kommt vor, daß Gül sich wünscht, sie wäre eins von den Mädchen aus dem Dorf, die den Sommer bei
     ihm verbringen. Sie würde ihm den Haushalt besorgen und kochen und abwaschen, das kann gar nicht so viel sein für einen alleinstehenden
     Mann.
    |149| Yasemin kommt in das Zimmer, in dem sich Abdurahman und Gül gerade unterhalten haben. Sie sieht Gül einen Augenblick lang
     an. Yasemin hat große dunkle Augen und scheint nie zu blinzeln. Sie fragt Onkel Abdurahman:
    – Ist das die Tochter des Schmieds?
    Ganz so, als könnte Gül sie nicht hören.
    – Ja, sagt Abdurahman, das ist Gül. Gül, das ist Yasemin.
    Gül mag den Dialekt, und sie ist fasziniert davon, wie selbstsicher Yasemin dort steht, wie wenig schüchtern sie zu sein scheint.
    – Kennst du Beştaş? fragt Yasemin Gül nun, und ohne eine Antwort abzuwarten, sagt sie: Laß uns spielen. Aber du mußt dir eigene
     Spielsteine suchen, meine darfst du nicht anfassen, fügt sie hinzu, als Onkel Abdurahman außer Hörweite ist.
    Also sucht Gül sich fünf passende Steine. Nach den Regeln des Spiels muß der Verlierer am Ende seine Hände hinhalten und bekommt
     eine bestimmte Anzahl Schläge. Yasemin schlägt mit unverhohlener Begeisterung auf Güls Handrücken.
    – So spielt ihr also in der Stadt, sagt sie und lacht.
    Gül versucht sich nicht anmerken zu lassen, wie weh es ihr tut. Manchmal verliert sie absichtlich gegen Sibel, um ihr eine
     Freude zu machen, aber Sibel schlägt lange nicht so hart zu. Gegen Melike gewinnt sie nie, niemand gewinnt gegen Melike, bei
     keinem Spiel, außer beim Verstecken. Im Laufe des Sommers werden sich Melike und Yasemin einige Duelle beim Beştaş liefern.
     Sie werden beide schummeln und mogeln und sich streiten, aber am Ende wird fast immer Melike mit großer Freude Yasemin auf
     die Handrücken klatschen. Gül wird stolz auf ihre Schwester sein, und gleichzeitig wird Yasemin, die keine Miene verzieht,
     ihr leid tun.
    – Warum spielst du eigentlich dauernd mit ihr, wenn du sowieso nur verlierst? fragt Melike. Das macht doch keinen Spaß.
    Gül zuckt die Schultern.
    |150| – Ich verstehe das auch nicht, sagt Sibel. Ich spiele einfach nicht mit Yasemin.
    Gül kann nicht erklären, was es ist. Sie kann nicht erklären, daß jeder etwas hat, worin er besonders gut ist, Melike im Sport,
     Sibel beim Malen, Nalan beim Singen, und bei Emin weiß man es noch nicht. Sie kann Schmerzen ertragen. Und oft glaubt sie,
     daß es jeder können muß, da es ihr ja nicht schwerfällt.
    Gül und Yasemin freunden sich in diesem Sommer an. Anfangs bewundert Gül Yasemins Mut und Eigenwilligkeit. Wenn die anderen
     versuchen, sie wegen ihres Dialekts zu hänseln, stößt sie einfach nur ein paar Flüche aus, schimpft sie Kekskinder und lacht.
     Und sie genießt die Bewunderung, die Gül ihr entgegenbringt.
    Doch im Laufe des Sommers ändert sich ihr Verhältnis. Yasemin wird leiser, vorsichtiger, zurückhaltender, Abdurahmans Bemühungen,
     aus ihr eine kleine Dame zu machen, scheinen zu fruchten. Und je stiller Yasemin wird, desto näher scheinen Gül und sie sich
     zu kommen. Als sich schon die Zeit der Apfelernte nähert, legt Yasemin eines Tages ihren Kopf in Güls Schoß. Es ist das erste
     Mal, daß Yasemin ihren Stolz vergißt und Nähe sucht.
    – Ich bin froh, wenn ich bald wieder im Dorf bin, sagt Yasemin.
    – Hast du Heimweh?
    – Ja. … Heimweh.
    Nach einer Pause fragt Yasemin:
    – Hat Onkel Abdurahman dir viele Sachen beigebracht?
    – Ja, sagt Gül, er hat mir Unterricht gegeben, er war ja früher Lehrer.
    – Ich will heim, am liebsten noch heute, sagt Yasemin.
    Nachdem sie nun den ganzen Sommer über fast jeden Tag zusammen verbracht haben, kränkt es Gül, daß Yasemin so schnell wie
     möglich zurück ins Dorf möchte. Einige Tage vor Schulanfang ist sie plötzlich verschwunden, ohne daß sie sich von Gül verabschiedet
     hätte.
    |151| Am letzten Ferientag packen Melike und Sibel abends ihre Schulsachen, und Gül sieht ihnen zu. Sie sieht ihre Mutter und dann
     ihren Vater an. Keiner sagt etwas.
    Auch am nächsten Morgen, als Sibel und Melike schon das Haus verlassen haben, sieht sie nur den Kindern nach, die in größeren
     und kleineren Gruppen Richtung Stadt gehen. Sie hört, wie ihre Mutter mit dem Abwasch beginnt. Laut schlägt Gül die Haustür
     zu und schlurft in die Küche.
    Es wird nicht darüber gesprochen, daß Gül einfach daheim bleibt. Sie hilft ihrer

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