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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Öffentlichkeit so zu bewegen. Gül entdeckt irgendwann erstaunt ihre
     Lehrerin, diejenige, die ihnen die Geschichte mit dem Mann, dem Wald und dem Löwen vorgelesen hat, sie sieht den Siebmacher,
     der sie zu dem falschen Schmied gebracht hat, und Cem, den Sohn der toten Hatice.
    Fuat ist ein sehr schmucker Bräutigam, in seinen dunkelblauen Schuhen kann man sich spiegeln, und sein ebenfalls dunkelblauer
     Anzug wirft, wenn Fuat sitzt, nur fünf, sechs steife Falten, und wenn er steht, dann steht auch der Anzug, als hätte er ein
     Eigenleben und wäre stolz, auf dieser Feier seinen Träger präsentieren zu dürfen. Fuat hat sich heute dreimal hintereinander
     rasiert, und aus seinen schwarzglänzenden Haaren hat sich nur eine kleine Strähne gelöst, die nun sanft seine Augenbraue streichelt.
    |212| Das Brautpaar sitzt an einem mit Blumen dekorierten Tisch, nimmt Glückwünsche entgegen und hört sich die wohlgemeinten Ratschläge
     und Kommentare an. Gül sind zwei Kissen auf die Sitzfläche ihres Stuhles gelegt worden, eins, damit sie bequem sitzt, und
     eins, damit sie nicht so klein wirkt. Ihre Füße berühren den Boden nicht, aber es ist ein alter Brauch, daß das Paar versucht,
     sich gegenseitig auf die Füße zu treten, während der Standesbeamte im Festsaal die Trauung vollzieht. Wer seinen Fuß oben
     hat, der wird auch die Hosen anhaben, sagt man, und oft genug lassen die Frauen ihren Fuß einfach unter dem des Bräutigams,
     um ihm das Gefühl der Überlegenheit zu geben. In einem Haushalt ohne eine tüchtige Frau weiß niemand, wo es langgehen soll.
     Oder wie es auch heißt: Ein Mann kann immer nur so gut sein wie seine Frau.
    Fuat hält seinen rechten Fuß über Güls linkem, aber als die Worte
und hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau
gesprochen werden, zieht sie ihn einfach nur ein Stückchen beiseite, so daß sich ihre Füße nicht mehr berühren. Wäre es still,
     könnte man hören, wie Fuats Ledersohle auf der Suche nach Güls Fuß auf den Boden tappt.
    In all dem Durcheinander bemerkt Gül eine junge, hellhäutige Frau mit vollen Wangen, auf denen die Tränen runterkullern. Sie
     hat diese hübsche Frau noch nie vorher gesehen, eine Frau in einem nachtblauen Kleid, das aus demselben Stoff zu sein scheint
     wie ihres.
    Warum ihr Vater weint, weiß Gül. Seine älteste Tochter verläßt das Haus, sie wird nie mehr nur sein kleines Mädchen sein,
     jetzt ist sie in der Hand dieser Fremden, sie wird fort sein. Nicht so weit wie Fatma, aber auch sie wird ihm genommen.
    Das Brautpaar nimmt die Geschenke entgegen, Fuat die Geldscheine, die ihm zugesteckt werden, Gül die Armreife, beide die Haushaltsgeräte
     und Handtücher. Sie bekommen sogar ein elektrisches Bügeleisen. Gül hat noch nie in ihrem Leben ein elektrisches Bügeleisen
     auch nur angefaßt, sie kennt sie bloß aus den Filmen und Fotoromanen.
    |213| Melike tanzt lachend, sie scheint ihre versengte Haarsträhne vergessen zu haben, Sibel sitzt still in der Ecke, Nalan und
     Emin laufen mit einer Traube anderer Kinder herum, Arzu strahlt über das ganze Gesicht und sieht ohne ihr Kopftuch viel jünger
     aus. Ihre langen, schwarzen Haare glänzen im Licht, und Gül ist sich sicher, daß da keine Brillantine drin ist. Ihre Mutter
     hat schöne Haare, Gül beneidet sie. Ihre eigenen sind von Natur aus dünn und glanzlos, doch wie die Friseurin sie heute frisiert
     hat, gefällt ihr. Gül hofft, daß ihre Frisur und ihr Kleid ein wenig von ihrer schiefen Nase ablenken. Sie findet sich nicht
     hübsch, und manchmal betrachtet sie auch Melike mit einem leisen Neid, weil die ihrer Mutter ähnlich sieht, weil über sie
     auch jemand sagen könnte, sie sei schön wie ein Stück vom Mond.
    Timur redet bald mit diesem, bald mit jenem Gast und könnte in seinem weißen Hemd und der schwarzen Hose und Weste dem Bräutigam
     fast Konkurrenz machen. Doch seine Glatze läßt ihn älter wirken, als er ist. Mit Fatma sind auch mein Massel und meine Haare
     gegangen, sagt er oft und wird diese Worte bis an sein Lebensende wiederholen. Doch sobald Timur an diesem Abend einige Sekunden
     allein dasteht, sieht er seine Tochter an, und seine Augen werden feucht.
    – Als würden sie einen Teil meiner Lunge rausreißen, murmelt er vor sich hin, oder: Kann sich das Herz auch an diesen Schmerz
     gewöhnen?
    Die Frau mit dem nachtblauen Kleid und den vollen Wangen blickt immer wieder zu Gül, und auch ihre Augen füllen sich immer
     wieder mit Tränen. Das

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