Die Tochter des Schmieds
Frau Gül an.
– Danke der Nachfrage. Und selber?
– Dem Herrn seis gedankt. Aber wie geht es dir?
Gül weiß nicht, was sie antworten soll. Die Frau hat ein sehr freundliches Gesicht, nur die Augen wirken wieder etwas traurig.
– Wie geht es dir? fragt sie nun noch mal. Man sagt, neue Besen würden gut kehren, fügt sie hinzu.
Sie lächelt ein wenig, als hätte sie etwas Lustiges gesagt.
– Dem Allmächtigen seis gedankt, es geht mir gut.
– Ich heiße Suzan, sagt die Frau. Wir sind jetzt Nachbarn, ich wohne in dem kleinen Haus nebenan.
Sie deutet in die Richtung.
– Gül, sagt sie nun, wenn du irgend etwas brauchst, egal, was es ist, meine Tür steht dir immer offen. Sei nicht schüchtern
… Es ist schwer, so jung zu heiraten und dann bei fremden Leuten zu sein. Ich weiß, wovon ich rede. Als ich dich so gesehen
habe auf der Hochzeit, ist mir meine eigene wieder eingefallen. Du armes, kleines Ding, sie haben dir Kissen untergeschoben
und deine Füße haben den Boden nicht berührt. Aber so ist das, glaub mir, niemand beachtet deine Tränen, du wirst einfach
so verheiratet, wenn du noch ein Kind bist. Ich war vierzehn. Wie alt bist du?
– Fünfzehn.
– Ja, so dreht sich die Welt. Jetzt bin ich fünfundzwanzig |219| und habe selber drei Kinder, aber frag nicht, was mir alles passiert ist. Ach, meine arme Kleine, sagt sie und streichelt
Gül über den Kopf.
Es ist das erste richtige Lächeln, das Gül in Suzans Gesicht sieht. Ein warmes, kraftvolles Lächeln, eins, das auf die Hindernisse
zurückblickt, die man gemeistert hat, eins, das man den Steinen im Weg zu verdanken hat, Steinen, die man fast schon vergessen
hat, ein Lächeln, das Gül noch oft sehen wird.
– Du kannst immer zu mir kommen, sagt Suzan noch mal, und Gül murmelt: Danke.
Steht ihr etwas bevor, von dem sie noch nichts ahnt? Gül fragt sich, wer wohl Suzans Mann ist. Es müßte doch ein glücklicher
Mann sein, mit so einer Frau an seiner Seite. Sie ist eine Schönheit, ihre Kleider sind sauber, ihre Fenster sind geputzt,
und das nachtblaue Kleid hat sie sich bestimmt selbst genäht.
Nach und nach lernt Gül auch Suzans Kinder kennen, einen Jungen von etwa zehn Jahren und zwei Mädchen, sieben und acht Jahre
alt, aber sie sieht keinen Mann. Ihre Schwiegermutter möchte sie nicht fragen.
Immer wieder plauschen Gül und Suzan auf der Straße miteinander, ein wenig Klatsch, ein wenig über das Wetter, über Levent
und Fuat, und nach zwei Wochen traut Gül sich zu fragen:
– Wo ist denn der Vater deiner Kinder, Suzan Abla?
– Er sitzt, sagt sie und sieht Gül dabei in die Augen.
Gül scheut sich, nachzuhaken, Suzan verliert kein weiteres Wort darüber.
Nachdem sie vier Wochen verheiratet sind und kein einziges Mal im Kino waren, fängt Fuat an, ab und zu mit seinen Freuden
auszugehen. Er hat gern Gesellschaft beim Trinken, sie singen Lieder, wenn der Schnaps sie mutig und laut gemacht hat, und
Fuat kann reden mit seinen Freunden, während er seiner Frau meistens nur zuhört. Er kann mit ihnen über Fußball reden, über
Mopeds, die der eine oder |220| andere hat, über Autos, die sie alle gern hätten, über das Bordell, das es angeblich auf halbem Weg nach Ankara geben soll.
Wenn er heimkommt, gegen ein oder zwei Uhr, rüttelt er Gül an der Schulter und flüstert mit seinem Schnapsatem ihren Namen,
während er an ihrem Nachthemd nestelt.
Vierzig Tage, vierzig Tage verbringt das junge Paar gemeinsam, vierzig Nächte schlafen sie in dem Bett, das Timur geschmiedet
hat, vierzig Tage, in denen es ein morgendliches Ritual wird, daß der Schmied seine Tochter besucht, vierzig Tage, in denen
sich Gül langsam mit Suzan anfreundet, vierzig Tage, in denen sie oft genug abends mit Fuat im Zimmer sitzt und mehr redet
als vorher in einer ganzen Woche. Vierzig Tage, in denen sie kocht, spült, wäscht, abräumt, Staub wischt, einkauft. Sie ist
die Jüngste im Haus und hat die wenigsten Rechte und die meisten Pflichten, sie steht morgens als erste auf und macht Frühstück,
holt Holz aus dem Keller, kümmert sich um ihre Neffen und Nichten.
Nach vierzig Tagen stehen fast zwanzig Menschen am Bahnhof und verabschieden Fuat, der seinen Wehrdienst in einer Provinz
im Osten antreten muß.
– Möge der Herr euch wieder vereinen, sagt Suzan, als Gül vom Bahnhof zurückkommt.
– Danke, sagt Gül.
– Siehst du, sagt Suzan, jetzt haben wir beide einen Mann in der Ferne. Deiner ist beim
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