Die Tochter des Schmieds
anprobiert
und bewundert.
Am Ende des Sommers kommt ihre Großmutter Berrin eines Abends vorbei und bringt wieder Onkel Fuat mit. Und hinterher sagt
Timur zu seiner Tochter:
– Ich brauche dich nicht zu fragen, oder?
– Ich will.
– Was?
– Verheiratet mich mit ihm.
– Du mußt nicht. Sie können noch hundertmal kommen, und du kannst hundertmal nein sagen.
– Vielleicht ist es mein Schicksal.
– Er ist bestimmt kein schlechter Mann. Er hat eine Arbeit, er kann dich ernähren, er ist tüchtig. Naja, er tritt hinten auf
seine Schuhe.
Es entsteht eine Pause.
|205| – Willst du wirklich? fragt der Schmied.
– Ja.
– Wirklich?
– Ja.
Als Gül am nächsten Morgen aufwacht, will sie immer noch. Möglicherweise ist es ihr vorherbestimmt. Deshalb ist Fuat zweimal
gekommen. Und was soll sie auch daheim. Sie verdient kein Geld. Auch wenn es im Winter für eine Suppe jeden Morgen reicht,
es ist nicht genug Geld da, um so viele Kinder durchzubringen. Melike will auf die Oberschule. Und Gül wäre nicht weit weg
von zu Hause. Fuat ist kein Fremder, er gehört ja zur Familie. Früher oder später wird sie ja doch heiraten. Was sollte sie
auch sonst tun. Früher oder später heiraten alle. Oder sie vertrocknen zu Hause und werden schief angesehen. Schicksal. Sie
hat aus irgendeinem Grund ja gesagt, gestern abend hat sie aus irgendeinem Grund ja gesagt. Und es hat sich richtig angefühlt.
Oder etwa nicht?
Nachdem die Äpfel geerntet sind, wird ein kleines Verlobungsfest gefeiert. Arzu muß sich nun keine Sorgen mehr über das Gerede
der Leute machen, wenn Gül in der Öffentlichkeit in Begleitung eines jungen Mannes mit Brillantine im Haar, glattrasiertem
Gesicht und marmoriertem Kamm in der Hosentasche gesehen wird. Gül ist jetzt selbst eine der jungen Frauen, denen sie oft
mit einer leisen Sehnsucht hinterhergeschaut hat.
Mit Fuat die Hauptstraße entlangzuspazieren ist aufregend, aber nicht spannend. Gül ist nervös, sie freut sich über den Mann
an ihrer Seite, aber sie weiß nicht, was sie reden soll. Sie weiß ja auch nicht, worüber die anderen Verlobten reden. Fuat
erzählt von seinen Freunden, von den Kunden im Friseurladen, er erzählt auch, wenn er beim Kartenspiel Geld gewonnen hat.
Gül hört ihm aufmerksam zu und nickt.
Das schönste an der Verlobung ist für Gül, daß sie jetzt noch öfter ins Kino gehen kann, mit Fuat, der nicht bei fast |206| jedem Film einschläft. Im Kino muß man sich nicht unterhalten, und hinterher bringt Fuat Gül heim, und auf dem Weg können
sie über Filme reden, über Humphrey Bogart, Cary Grant, Cüneyt Arkın, Belgin Doruk, Bette Davis, Ava Gardner, Fatma Girik,
Elizabeth Taylor, Ayhan Işık, Filiz Akın, Ediz Hun, Türkan Şoray, Gina Lollobrigida, Kirk Douglas, Erol Taş.
Wenn er zwischen den Doppelvorstellungen Freunde im Saal erblickt, sagt Fuat:
– Ich gehe mal kurz Hallo sagen.
Dann steht er da mit seinen Freunden, raucht, lacht, und wenn er nicht zu weit weg steht, richtet Gül sich auf und schaut,
ob er nicht hinten auf seine Schuhe tritt. Was er manchmal tut, wenn sie aus dem Kino hinausgehen, aber nie, wenn sie hineingehen,
dann ist er stets ordentlich angezogen. Sie weiß nicht, worüber Fuat mit seinen Freunden redet. Sie nimmt an, daß es die gleichen
Themen sind, über die die Männer bei ihrem Vater in der Werkstatt sprechen. Fußball und Politik. Und obwohl sie schon als
kleines Mädchen immer zuhören konnte, wie die Kunden und Freunde des Schmieds sich in der Werkstatt unterhielten, weiß sie
fast nichts über Fußballspieler oder Menderes oder Kennedy. Es hat sie nie interessiert.
Wenn Gül und Fuat im Dunkeln nebeneinandersitzen, berühren sich manchmal ihre Schultern. Das ist alles. Manchmal riecht Fuat
nach Alkohol und redet dann in den Pausen lauter und lacht mehr. Auch fährt er sich dann öfter durch die Haare.
Doch er riecht nicht oft nach Alkohol, nicht in diesem Herbst, in dem Gül sehr viele Filme sieht. Filme über junge Liebe,
über Liebe, die alle Grenzen überschreitet, über Menschen, die sich selbst verleugnen, wenn ihr Geliebter einen Vorteil davon
hat, über Menschen, deren Leben mit einem großen Schmerz angefangen hat und die nun irgendwo ein Licht sehen. Oder es sich
erhoffen. Über Menschen, die einfach versuchen zu überleben, oder über Menschen, die bereit |207| sind, alles zu ertragen, damit sie nur jemand liebt. Über Frauen, die gerettet werden
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