Die Tochter des Schmieds
sagen, daß ich dich dort brauche.
Als Gül mittags in die Werkstatt kommt, tritt ihr sofort der Schweiß auf die Stirn, so heiß ist es.
– Kratzt du mir die Waden? fragt Timur, und später murmelt er nur noch: Wie ich das vermißt habe.
– Gott zum Gruß.
Ein Bauer betritt den Laden, Gül hört auf, ihrem Vater die Waden zu kratzen, und der Schmied erhebt sich:
– Gott zum Gruß, was kann ich für dich tun?
– Einen Spaten brauch ich, sagt der Bauer, und ich halte auch zu Beşiktaş, nur damit das klar ist. Was ist das an deinen Beinen,
wenn ich fragen darf?
– Ausschlag, sagt Timur, juckender Ausschlag, der nicht weggeht.
– Darf ich mal sehen? Timur zieht seine Hosenbeine hoch, während der Mann in die Hocke geht.
– Das hatte ich auch mal, sagt er, steht auf, lächelt, nimmt seine Mütze ab und kratzt sich am Kopf.
– Hattest?
– Ja, hatte.
– Wie hast du es wegbekommen?
– Ich habe es so einem alten Weib bei uns auf dem Dorf gezeigt, die wußte ein Rezept.
– Was für eins?
– Bis wann kannst du mir den Spaten machen?
– Komm in einer Stunde wieder. Und wehe, ich finde heraus, daß du kein Beşiktaş-Anhänger bist.
– Kuhpisse, sagt der Bauer, du mußt dir deine Waden sieben Abende hintereinander mit Kuhpisse einreiben, dann geht es weg.
– Du willst mich zum Narren halten.
– Ich schwöre beim Allmächtigen. Bei mir hat es geklappt.
– Wenn du dir einen Spaß erlaubst, wenn du mich verarschst oder wenn ich herausbekomme, daß du zu Galatasaray oder so hältst,
dann werde ich dich finden, und gnade dir Gott.
|231| – Ich komme in einer Stunde wieder, sagt der Bauer.
– Bist du des Wahnsinns? fragt Arzu ihn an diesem Abend, doch Timur brummelt nur:
– Sei still, davon verstehst du nichts.
– Und damit willst du ins Bett?
– Sieben Tage werde ich so ins Bett gehen, Frau, ob es dir paßt oder nicht.
Schon am zweiten Tag juckt es nicht mehr, und nach zwei Wochen sind die Rötungen und Schuppen fast ganz verschwunden. Übrig
bleiben Narben und ein Mann, der zufrieden seufzt und sagt:
– Da hätte ich selber drauf kommen können, daß Kuhpisse besser ist als jede Salbe.
Es wird für sehr lange Zeit der letzte Sommer, den die Schwestern gemeinsam verbringen. Die drei werden in diesen Wochen sehr
häufig auf der Holztruhe ihrer Mutter sitzen. Oft werden sie Nalan erlauben, sich zu ihnen zu gesellen. Die wenigen Male,
die sie es ihr nicht erlauben, werden sie es genießen, da Nalan nun niemanden hat, zu dem sie petzen gehen kann. Weil er noch
so klein ist, wird Emin den Sommer bei seiner Mutter verbringen, und manchmal wird auch Nalan im Haus ihrer Großeltern im
Zimmer ihrer ältesten Schwester übernachten.
Doch die ersten drei Tage redet Melike demonstrativ kein einziges Wort mit Gül. Zweimal versucht Gül, etwas zu sagen, doch
Melike dreht sich um und geht hinaus.
Am vierten Tag will Gül gerade in die Küche, als sie Sibel und Melike drinnen reden hört. Sie bleibt vor der Tür stehen und
lauscht.
– Wir sind Schwestern. Du kannst sie nicht so behandeln. Wir müssen zusammenhalten. Wir müssen zusammenhalten, weil wir keine
Mutter mehr haben. Wen haben wir denn außer uns?
– Sie hätte das nicht tun dürfen, sagt Melike, aber sie klingt nicht mehr wirklich überzeugt.
– Sie hat nichts getan. Vater hat es gemacht.
|232| – Sie ist jetzt verheiratet. Sie gehört nicht mehr zu uns. Sie hat uns verlassen.
– Sei lieb zu ihr, Melike Abla, bitte, sei lieb zu ihr, ja? Tu es für mich. Mich liebst du doch noch, oder?
– Ja, natürlich.
– Dann tu es für mich. Tu es aus Liebe zu Gott.
– Ich wollte, daß hier Frieden ist. Ging es dir gut, als sie jeden Abend gestritten haben, ging es dir da gut? Mutter wird
wiederkommen und ihren Ärger an uns auslassen. Und Gül wird beim Kutscher sitzen. Die ist fein raus. Und ich kriege immer
den Ärger ab, egal, was passiert. Du siehst doch, wie oft Mutter mich schlägt. Und das nur, weil ich den Mund aufmache und
nicht still vor mich hin schmolle wie Gül oder wie du.
– Wir werden vielleicht nie wieder so zusammenkommen. Sie ist unsere Schwester, wir gehören doch zusammen. Und das bißchen
Ärger …
– Mal sehen, sagt Melike.
Ganz leise geht Gül hinaus in den Garten, legt sich ins hohe Gras und weint.
Später an diesem Tag drückt Melike Gül ein Buch in die Hand:
– Hör mich ab. Seite neunundvierzig.
Und sie fängt an, den Text des Biologiebuches auswendig
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